Nicht stabil: Jahrzehntelang drehte sich der innere Erdkern schneller als der Rest des Planeten – doch das hat sich geändert, wie nun seismische Daten bestätigen. Demnach hat sich der feste Innenkern seit knapp 15 Jahren immer weiter verlangsamt und hinkt nun der Rotation von Erdmantel und Erdkruste hinterher – zum ersten Mal seit Jahrzehnten. Dies könnte darauf hindeuten, dass der innere Erdkern veränderlicher ist als gedacht: Er wird mal schneller, mal langsamer. Warum, ist allerdings unklar, so das Team in „Nature“.
Der innere Kern unseres Planeten gibt in mehrerer Hinsicht Rätsel auf. So ist unklar, wann diese mondgroße, feste Metallkugel einst erstarrte und welche leichten Elemente ihrer Eisen-Nickel-Legierung beigemischt sind. Auch ob der Innenkern eine Unterstruktur in Form von Schichten oder „Wachstumsringen“ besitzt, ist strittig.
Wie schnell rotiert der Innenkern?
Noch rätselhafter ist jedoch das Rotationsverhalten des inneren Erdkerns. Jahrzehntelang ging man davon aus, dass er sich immer ein wenig schneller dreht als der Rest unseres Planeten. Um rund ein Grad pro Jahr, so die Schätzungen, eilt er durch diese Superrotation den anderen Schichten voraus. Seit einigen Jahren registrieren einige seismische Messungen jedoch auffallende Abweichungen vom erwarteten Rotationstempo. Demnach könnte der Erdkern seine Drehung verlangsamt haben oder aber schwanken.
Wie genau diese Veränderungen im Rotationsverhalten des Erdkern jedoch aussehen, blieb wegen widersprüchlicher Modelle und Daten unklar. Deshalb haben Wei Wang vom Institut für Geologie und Geophysik in Peking und seine Kollegen nun weitere seismische Daten analysiert. Dabei handelt es sich um 143 Paare von Bebenwellen, die zwischen 1991 und 2023 von sich wiederholenden Erdbeben vor der Südspitze Südamerikas ausgingen.
Weil diese Bebenwellen auf ihrem Weg zu Messstationen auf der Nordhalbkugel den Erdkern durchlaufen, geben ihre Wellenmerkmale und im Speziellen der paarweise Vergleich der Rückschlüsse auf die Bewegung des inneren Erdkerns.
V-förmiges Muster mit Kipppunkt um das Jahr 2010
Die Messungen bestätigten: Der Erdkern hat sein Rotationstempo verändert. „Als ich die Seismogramme sah, war ich zunächst verblüfft“, berichtet Koautor John Vidale von der University of Southern California. „Aber als wir dann zwei Dutzend weitere Paare mit dem gleichen Muster fanden, war das Ergebnis eindeutig: Der innere Erdkern hat sich zum ersten Mal seit vielen Jahrzehnten verlangsamt. Unsere Daten liefern dafür den bisher überzeugendsten Beleg.“
Konkret ergaben die Analysen, dass sich Wellenpaare mit bestimmten zeitlichen Abständen verblüffend ähnelten. Zusammengenommen ergaben diese Paare ein Muster, das wie ein V mit Zentrum etwa im Jahr 2010 aussah. „Dieses Muster ist zu erwarten, wenn der Erdkern etwa zu diesem Zeitpunkt sein Verhalten geändert hat“, erklärt das Team. Demnach drehte der Kern bis etwa 2010 schneller als der Rest des Planeten, begann aber dann, seine Rotation immer weiter zu verlangsamen.
Erst schneller, jetzt langsamer als der Rest
Momentan rotiert der innere Erdkern dadurch zum ersten Mal seit mehr als 40 Jahren langsamer als der Rest des Planeten – seine Drehung hinkt hinterher. Die seismischen Daten legen zudem nahe, dass die Umkehr in der Tempoentwicklung nicht ganz symmetrisch verlief: „Die steilere Kurve vor 2005 verglichen mit nach 2015 zeigt, dass der Innenkern-Bewegungstrend in der späteren Periode zweieinhalbmal langsamer und richtungsverkehrt verläuft“, so Wang und seine Kollegen.
„Unsere Beobachtungen liefern damit den bisher eindeutigsten Beleg dafür, dass der innere Erdkern sich relativ zum Rest des Planeten bewegt und dass er stetig langsamer rotiert“, schreiben die Forscher. „Die westwärts gerichtete Sub-Rotation entwickelte sich dabei nur halb so schnell wie der letzte Teil der ostwärts gerichteten Superrotation – dies erfordert nun Modelle, die dies nachvollziehen können.“
Ursachen und Folgen unklar
Warum sich die Drehung des Innenkerns verändert und nicht stabil bleibt, ist bisher noch unklar. Ein Faktor könnten Wechselwirkungen mit den Strömungen im flüssigen äußeren Erdkern sein, ein weiterer Schwerkrafteffekte des massereichen Erdmantels, wie die Wissenschaftler erklären. Ebenfalls noch nicht geklärt ist, ob sich die veränderte Rotation des inneren Erdkerns auf die Rotation der Erde insgesamt auswirkt – und so beispielsweise die irdische Tageslänge beeinflusst.
„Das ist sehr schwer nachzuweisen, weil es hier um tausendstel Sekunden geht“, erklärt Vidal. „Das geht im Störrauschen durch die Bewegungen der Ozeane und Atmosphäre nahezu unter.“ Das Team plant aber bereits, seine Messungen noch weiter auszuweiten und so zu präzisieren. (Nature, 2024; doi: 10.1038/s41586-024-07536-4)
Quelle: University of Southern California