Die Hominiden aus dem georgischen Dmanisi sind die frühesten Vertreter unserer Gattung außerhalb Afrikas. Neue Funde zeigen jetzt, dass diese ersten Europäer schon gehen und laufen konnten wie moderne Menschen. Die Forscher berichten über ihre Ergebnisse in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins „Nature“.
Bis jetzt stützten sich die Kenntnisse über die ursprünglichste Population des Homo erectus, die Dmanisi-Menschen, vor allem auf Schädel- und Kieferfunde. Teile des restlichen Skeletts hatte man noch nicht gefunden, so dass nur wenig über den zweibeinigen Gang, die Arme und Hände bekannt war. Im letzten Jahr spürten Wissenschaftler nun auch Knochen des Rumpfskeletts und der Gliedmassen von vier Dmanisi-Hominiden auf. Diese neuen Fossilien konnten dank individueller anatomischer Merkmale den früher gefundenen Schädeln zugeordnet werden.
„Erstmals lässt sich aus diesem Puzzle ein Gesamtbild des Skelettes der Plio-Pleistozänen-Hominiden rekonstruieren“, erklärt Professor Christoph P.E. Zollikofer vom Anthropologischen Institut der Universität Zürich, der zusammen mit Marcia S. Ponce de Léon und Tea Jashashvili dem internationalen Forschungsteam angehört.
Dmanisi-Hominiden mit kleinem Gehirn
Die Analysen der neuesten Funde zeigen, dass die Dmanisi nur etwa 150 Zentimeter groß waren. Sie waren damit kleiner als der afrikanische Homo erectus. Erstaunlich winzig war auch das Gehirn der Dmanisi-Hominiden, zwischen 600 und 800 Kubikzentimeter, während das des modernen Menschen zwischen 1.200 und 1.800 Kubikzentimeter misst. Im Vergleich zur Körpergröße war ihr Gehirn so klein wie das der allerersten Vertreter der Gattung Homo aus Afrika, auf jeden Fall kleiner als das des Homo erectus in Afrika und Asien.
Gehen und laufen wie moderne Menschen
Einer der erstaunlichsten Befunde der Wissenschaftler ist, dass die Dmanisi-Hominiden im Wesentlichen bereits die gleichen Körperproportionen wie moderne Menschen hatten: die Beine sind bedeutend länger als die Arme und die Oberschenkel sind länger als die Oberarme. Die Wirbelsäule zeigt ebenfalls die Form eines S, und das Fußgewölbe ist gut ausgebildet. „Alle diese Merkmale sind ein untrügliches Zeichen für den federnden zweibeinigen Gang, der es erlaubt, weite Strecken gehend, laufend oder rennend zurückzulegen“, fasst Zollikofer zusammen.
Die Schultern und Arme der Dmanisi-Menschen waren hingegen auf subtile Weise anders gebaut als bei uns. Beim modernen Menschen liegen in Ruhestellung die Schulterblätter am Rücken, während gleichzeitig die Handflächen nach innen gedreht sind. Dies wird durch eine starke Torsion des Oberarmknochens gewährleistet. Damit kann die Außendrehung des Schultergelenks durch eine Innendrehung des Ellbogengelenks kompensiert werden. Bei den Dmanisi-Hominiden wiesen die Oberarmknochen keinerlei Torsion auf; gleichzeitig waren die Schulterblätter aber so gebaut, dass sie mehr Bewegungsfreiheit erlaubten.
Eigenartige Mosaikwesen
„Funktionell können wir zurzeit nur soviel sagen, dass sich die Armbewegungen der Dmanisi-Hominiden von unseren unterschieden“, erklärt Zollikofer. „Sie hinderten die Hominiden aber nicht daran, verschiedenste Steinwerkzeuge herzustellen und Grosswildknochen aufzubrechen, um ans Mark zu gelangen.“
Aus der Gegenwartsperspektive erscheinen uns die Dmanisi-Hominiden also als eigenartige Mosaikwesen, die moderne und altertümliche Merkmale in ein und demselben Körper vereinen. Aus der Perspektive der Dmanisi-Hominiden war das natürlich nicht der Fall. Sie waren Menschen, die an ihre Umgebung gut angepasst waren und über eine Sozialstruktur und kognitive Fähigkeiten verfügten, die auch das Überleben von alten und behinderten Gruppenmitgliedern ermöglichte.
(idw – Universität Zürich, 20.09.2007 – DLO)