Nasse Premiere: Zum ersten Mal war es in Grönland so warm, dass selbst auf dem höchsten, zentralen Punkt des Eisschilds Regen fiel. Am 14. und 15. August verursachte der Einstrom feuchtwarmer Luft mehrstündige Niederschläge über weiten Teilen Mittel- und Südgrönlands, mehr als sieben Milliarden Tonnen Regen fielen insgesamt in dieser Zeit – mehr als je zuvor für Grönland dokumentiert. Parallel dazu taute siebenmal so viel Eis wie sonst für diese Zeit üblich.
Grönland gehört zu den am stärksten vom Klimawandel betroffenen Regionen weltweit. Weil sich die Arktis überproportional erwärmt und veränderte Luftströmungen immer häufiger warme Luft über die Rieseninsel bringen, taut das Eisschild Grönlands stellenweise schon exponentiell. Schon jetzt überholt der Eisverlust alle bisherigen Prognosen. Neuesten Daten zufolge könnte sich ein Teil des Grönlandeises einem Kipppunkt nähern – einer Schwelle, ab der ein komplettes Abtauen droht.
Tauwetter und mehrere Stunden Regen auf Grönlands Gipfel
Jetzt gibt es ein neues, beunruhigendes Zeichen für den klimatischen Wandel: Am kältesten, höchsten Punkt des grönländischen Eisschilds ist zum ersten Mal Regen gefallen – statt wie sonst Schnee. Die Messgeräte der Summit Station auf 3.216 Meter Höhe registrierten am 14. August einen Anstieg der Lufttemperaturen über den Gefrierpunkt. Das Thermometer stieg auf 0,48 Grad und damit einen für diese Gegend ungewöhnlich hohen Wert.
Parallel dazu begann es zu regnen: „In den nächsten Stunden hielt der Niederschlag weiter an und Beobachter konnten Wassertropfen auf vielen Oberflächen in der Nähe der Station sehen“, berichtet das U.S. National Snow & Ice Data Center (NSIDC), das für die Gipfelstation mit verantwortlich ist. „An diesem Ort auf 72 Grad Nord und in 3.216 Meter Höhe wurde noch nie zuvor Regen dokumentiert“, so das NSIDC.
Während die Temperaturen an der Gipfelstation am späten Nachmittag wieder unter den Gefrierpunkt fielen, hielten Wärme und Regen in einem Großteil von Süd- und Westgrönland weiter an. Viele Wetterstationen meldeten außergewöhnliche Messwerte. Den Angaben des NSIDC zufolge fielen am 14. und 15. August 2021 insgesamt sieben Milliarden Tonnen Wasser in Form von Regen auf das grönländische Eisschild – so viel wie nie zuvor seit Beginn der grönländischen Wetteraufzeichnungen.
Dramatische Eisschmelze
Das ungewöhnlich warme Wetter und der Regen führten zu einer Eisschmelze, die sich allein am 14. August über eine Fläche von 872.000 Quadratkilometern erstreckte. Der Eisverlust von der Oberfläche des Eisschilds lag um das Siebenfache über dem für Mitte August Normalen“, wie das NSIDC berichtet. Seit Beginn 2021 ist das Oberflächeneis Grönlands auf einer Fläche von 21,3 Millionen Quadratkilometern getaut – dreimal so viel wie im langjährigen Mittel.
Ein Großteil des Regens und des Schmelzwassers sind nicht in den Eispanzer eingesickert, sondern flossen an der Oberfläche und damit besonders schnell Richtung Meer. „Zu dieser Jahreszeit gibt es große Flächen mit blankem Eis in den südwestlichen und nördlichen Küstengebieten“, so das NCIDC. „Sie können keinerlei Schmelzwasser oder Regen aufnehmen. Daher fließt das Wasser hangabwärts und direkt ins Meer.“
Wärmeschub aus dem Süden
Ursache von Regen und Schmelze ist eine Wetterlage, die ungewöhnlich warme, feuchte Luft aus dem Süden und Südwesten nach Grönland führte. Diese Luftmassen wurden zwischen einem Tief über der Hudson Bay und einem Hochdruckgebiet südlich von Grönland nach Norden gelenkt. „Die warm-feuchte Luft bedeckte die Insel über mehrere Tage hinweg“, berichten die Glaziologen. Erst als sich der Himmel am 15. August von Norden her aufzuklären begann, wurde es wieder kühler.
Das Bedenkliche jedoch: Die Wetterdaten belegen, dass sich solche Wärmeschübe über Grönland in den letzten Jahren zunehmend häufen. Dem NSIDC zufolge war es schon das dritte außergewöhnliche Schmelzereignis in weniger als einem Jahrzehnt und das späteste im Jahr, das je registriert wurde. „Dies ist beispiellos“, sagte NSIDC-Forscher Ted Scambos gegenüber dem US-Sender CNN.
Der Regen sei ein klarer Hinweis darauf, dass sich Grönland in rapidem Tempo aufheize. „Was hier passiert, ist nicht einfach ein wärmeres Jahrzehnt oder zwei durch natürliche Klimamuster. Wir überschreiten hier Schwellen, die seit Jahrtausenden nicht überschritten worden sind“, so der Forscher.
Quelle: U.S. National Snow & Ice Data Center (NSIDC)