Tiefgreifender Wandel: In den letzten 500 Jahren hat Europa neun besonders hochwasserreiche Phasen erlebt – eine davon sind die letzten 30 Jahre, wie eine Studie enthüllt. Doch die aktuelle Flutphase unterscheidet sich deutlich von ihren Vorgängern: Die Hochwasser liegen heute häufiger im Sommer und auch die Lufttemperaturen sind höher. Das deute auf einen grundlegenden Wandel der hydrologischen Bedingungen hin, so die Forscher im Fachmagazin „Nature“.
In den letzten Jahren scheint Europa ein wahres Wechselbad aus Dürren und Überschwemmungen zu erleben. Dabei führen Starkregen und besonders regenreiche Sturmtiefs immer wieder dazu, dass Flüsse über die Ufer treten und Straßen, Orte und ganze Landstriche durch „Jahrhundertfluten“ überschwemmt werden. Klimaforscher prognostizieren zudem, dass Starkregen und hochwasserträchtige Wetterlagen in Zukunft häufiger werden könnten.
Ausreißer oder natürliche Schwankung?
Doch wie ungewöhnlich sind Perioden gehäufter Überflutungen für Europa? Ist das wirklich der Klimawandel oder nur eine ganz natürliche Klimaphase, wie es sie in der Vergangenheit schon häufiger gab? „Um zu wissen, ob die letzten Jahrzehnte außergewöhnlich sind, muss man die hochwasserreichen Perioden der Vergangenheit und ihre Merkmale identifizieren und mit der Gegenwart vergleichen“, erklären Günter Blöschl von der TU Wien und seine Kollegen.
Für ihre Studie haben die Forscher historische Berichte über Überflutungen aus der Zeit von 1500 bis 2016 zusammengetragen und ausgewertet. „Die große Herausforderung war es dabei, die sehr unterschiedlichen Texte aus verschiedenen Jahrhunderten und kulturellen Regionen vergleichbar zu machen“, erklärt Blöschls Kollegin Andrea Kiss. Um die mehr als 9.500 in den Dokumenten erwähnten Flutereignisse einzuordnen, entwickelten die Forscher einen speziellen Intensitätsindex.
Aktuelle Hochwasserphase ist anders als alle vorherigen
Das Ergebnis: In den letzten 500 Jahren hat Europa neun besonders hochwasserreiche Perioden durchlebt. Zu den schwerwiegendsten gehörte die Zeit von 1560 bis 1580, dann eine Phase rund um die französische Revolution von 1760 bis 1800 sowie eine weitere Hochwasserphase von 1840 bis 1870. Auch die letzten rund 30 Jahre ab etwa 1990 gehören zu den neun von besonders vielen Überschwemmungen geprägten Zeiten.
Doch es gibt entscheidende Unterschiede: Die Wetterkapriolen der Gegenwart differieren in mehreren Merkmalen von den Flutperioden der Vergangenheit, wie Blöschl und sein Team berichten. „Unsere Studie zeigt zum ersten Mal, dass sich die dahinterstehenden Mechanismen geändert haben“, so die Forscher. „Die aktuelle Periode unterscheidet sich in Bezug auf das Ausmaß, die mit den Überschwemmungen verknüpften Lufttemperaturen und die Saisonalität der Hochwasser.“
Häufiger bei warmem Wetter und im Sommer
Konkret zeigte sich: „In der Vergangenheit ereigneten sich Hochwasser häufiger unter kühlen Bedingungen, heute ist das Gegenteil der Fall“, sagt Blöschl. So lagen die Temperaturen in den früheren hochwasserreichen Perioden im Schnitt 0,3 Grad niedriger als in den Zeiten dazwischen. Die aktuelle Hochwasser-Phase ist dagegen 1,4 Grad wärmer als die Zeit davor. „Die hydrologischen Bedingungen der Gegenwart sind damit ganz anders als die in der Vergangenheit“, so Blöschl.
Auch die Jahreszeiten, zu der die Hochwasser typischerweise auftreten, haben sich verändert: „In den vergangenen Hochwasserperioden Mitteleuropas haben sich 41 Prozent der Überflutungen im Sommer ereignet“, berichten die Wissenschaftler. „Heute sind dagegen 55 Prozent der Hochwasser Sommerfluten.“ Sie führen diese Verschiebung auf Veränderungen der Niederschläge, aber auch der Schneeschmelze zurück.
„Wir müssen uns an die neue Realität anpassen“
Nach Ansicht der Forscher bestätigen ihre Ergebnisse zum einen, dass es in den letzten 30 Jahren tatsächlich ungewöhnlich viele Hochwasser in Europa gab. Andererseits aber zeigen sie, dass sich die aktuelle Flutperiode deutlich von denen der Vergangenheit unterscheidet. „Wir können nun mit großer Sicherheit sagen: Ja, die Hochwasser-Merkmale der letzten Jahrzehnte sind anders als die der früheren Jahrhunderte“, sagt Koautor Alberto Viglione vom Polytechnikum in Turin.
„Wir wussten schon aus früheren Forschungen, dass der Klimawandel die Hochwasserereignisse in Europa beeinflusst hat“, sagt Koautor Alberto Viglione vom Polytechnikum in Turin. Das stützt die Annahme, dass diese Entwicklung mit dem Klimawandel zusammenhängen könnte. „Ungeachtet der Bemühungen im Klimaschutz werden wir die Folgen dieser Veränderungen auch in den kommenden Dekaden erleben“, sagt Blöschl. „Der Hochwasserschutz muss sich an diese neue Realität anpassen.“ (Nature, 2020; doi: 10.1038/s41586-020-2478-3)
Quelle: Technische Universität Wien