Strahlende Relikte: Eine neue Karte zeigt die radioaktive Belastung der europäischen Böden genauer als je zuvor. Hotspots der Belastung sind damit ebenso zu erkennen wie kaum kontaminierte Stellen. Aus den Werten für radioaktives Cäsium und Plutonium lässt sich zudem erstmals ablesen, aus welchen Quellen diese Radionuklide stammen – ob aus dem Fallout der früheren Atomwaffentests oder vom Atomunfall von Tschernobyl.
Auch wenn die Atomwaffentests der Nachkriegszeit schon mehr als 50 Jahre her sind, ihr über die ganze Welt verteilter Fallout strahlt bis heute. Selbst die Tiefen des Marianengrabens sind kontaminiert. Und auch der Atomunfall von Tschernobyl im April 1986 hat bis heute seine Spuren hinterlassen. Die bei der Explosion freigesetzten Radionuklide kontaminierten nicht nur die Region rund um das Atomkraftwerk, sondern wurden vom Wind bis nach Nordeuropa getragen.
Wie viel radioaktives Cäsium und Plutonium ist im Boden?
Wie hoch die Böden in Europa heute mit diesen radioaktiven Elementen kontaminiert sind, zeigt nun eine neue Karte. Forscher um Katrin Meusburger von der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) erstellten diese Karte mithilfe von 160 Bodenproben aus verschiedenen europäischen Regionen, die für eine zentrale Bodendatenbank unter intaktem, seit 1960 weitgehend unverändertem Grasland entnommen worden waren.
Das Ergebnis ist eine Karte, die die Kontamination mit den radioaktiven Isotopen Cäsium-137 sowie Plutonium-239 und -240 genauer zeigt als je zuvor. Zudem erlaubt sie Rückschlüsse auf die Quelle der Radionuklide. Weil beim Unfall von Tschernobyl nur radioaktives Cäsium nach Europa gelangte, der Fallout der Kernwaffentests aber sowohl Cäsium als auch Plutonium enthielt, konnten die Forscher aus dem Verhältnis beider Elemente auf den Ursprung der im Boden gefundenen Belastung schließen.
Plutonium-Hotspots in Gebirgsregionen
Der Karte zufolge liegt die Belastung der europäischen Oberböden durch Plutonium bei durchschnittlich 0,32 Becquerel pro Quadratmeter. Dieses aus den Atomtests stammende Radionuklid ist zwar relativ gleichmäßig verteilt, weil der Fallout damals sehr hoch in die Stratosphäre getragen und weltweit verteilt wurde. Dennoch gibt es wetterbedingte regionale Unterschiede. So sind der Osten Deutschlands, das Pariser Becken und Flandern vergleichsweise gering belastet.
Hotspots der Plutoniumwerte liegen dagegen vor allem in Gebirgen: „Die höchsten Plutoniumwerte fanden wir in Gebieten mit hohen jährlichen Niederschlägen wie den Alpen, dem Massiv Central sowie in Hochlandgebieten wie dem Jura, den Ardennen und dem Rheinischen Schiefergebirge“, berichten die Forscher. Dort werden Höchstwerte von bis zu 616 Becquerel pro Quadratmeter aus Plutonium erreicht.
Mehr Cäsium im Südosten
Beim Cäsium-137 liegt die Belastung im Schnitt bei 20,6 Becquerel pro Quadratmeter, wie Meusburger und ihr Team berichten. Dieses Radionuklid ist allerdings weit unregelmäßiger verteilt als Plutonium, weil Wind und Regenfälle in den Wochen nach dem Tschernobyl-Unfall starken Einfluss auf die Verteilung des Fallouts hatte. „Insgesamt lässt sich aber ein klarer Trend zur Zunahme der Cäsiumwerte nach Osten hin ablesen“, so die Forscher. Die niedrigsten Werte finden sich in Nordwest-Frankreich, die höchsten im Südosten Deutschlands.
Weitere Hotspots der Cäsium-Kontamination liegen im Voralpenland und in Mittelgebirgen wie dem Schwarzwald, den Ardennen oder dem Elsass. Die höchsten Belastungen ermittelten die Wissenschaftler in den Alpen: Im schweizerischen Tessin lagen die Werte bei 52 Becquerel pro Quadratmeter, im italienischen Friaul bei 35 Becquerel.
Referenzwerte für künftige Studien
Diese Daten geben erstmals einen genaueren Einblick in die radioaktiven Relikte sowohl der Kernwaffentests als auch des Fallouts von Tschernobyl. Diese Karten und Ergebnisse können nun als Referenzwerte für künftige Messungen dienen – beispielsweise im Fall eines erneuten Atomunglücks, wie Meusburger und ihre Kollegen erklären. Zusätzlich aber lassen sich diese Daten als Bezugswerte für geomorphologische Studien beispielsweise der Bodenerosion nutzen. (Scientific Reports, 2020; doi: 10.1038/s41598-020-68736-2)
Quelle: Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL, Universität Basel