Der mit 8.848 Metern höchste Berg unseres Planeten ist nicht nur für Alpinisten eine große Herausforderung. Auch seine Geschichte ist alles andere als leicht zu enträtseln. Jetzt ist es einem internationalen Forscherteam gelungen, eine wichtige Frage zu klären: Sie fanden heraus, dass dieses Gebirgsmassiv bereits seit 17 Millionen Jahren so hoch aufragt wie heute und daher bereits damals das Klima Südostasiens beeinflusste, wie sie im Fachmagazin „Geology“ berichten.
Zur Erforschung der Erdgeschichte verwenden Forscher normalerweise Gesteinsablagerungen und Fossilien. Der Mount Everest wurde zwar bereits vor 60 Jahren zum ersten Mal bestiegen, jedoch fehlen genau diese Proben für wichtige Zeitabschnitte am höchsten Berg der Erde. Dies liegt auch daran, dass natürliche Abtragungsprozesse – auch als Erosion bekannt – das Gestein in großen Gebirgen kontinuierlich wegtransportieren. So finden sich heute Sedimente im Indischen Ozean, die ursprünglich aus dem Gebirgsmassiv des Mount Everest stammen. Die üblichen Methoden geologischer Aufzeichnungen funktionieren also auf dem gigantischsten aller Gebirge nicht. Es war daher bisher schwierig zu bestimmen, seit wann die Gipfel so hoch aufragen.
Regentropfen als Zeitzeugen
Aude Gébelin vom Frankfurter Biodiversität und Klima Forschungszentrum (BiK-F) und ihre Kollegen haben nun eine noch sehr junge Methode angewandt, um die Höhenlage an dieser Stelle der Erdoberfläche vor Jahrmillionen zu ermitteln: Sie nutzen die Isotopen bestimmter Elemente als Hilfsmittel.
Wasser – in Form von Regentropfen, Schnee oder Schmelzwasser – enthält unterschiedliche Varianten von Sauerstoffatomen. Diese sogenannten Isotope sind unterschiedlich schwer. Die schwereren Isotope nehmen mit zunehmender Höhe systematisch ab. Aus Millionen Jahre alten Gesteinen lässt sich somit anhand der von den Regenwasserablagerungen stammenden Isotopen bestimmen, in welcher Höhe der Regentropfen einst auf die Erdoberfläche traf, wie hoch also der entsprechende Ort damals lag.
„Die Zusammensetzung der Isotope ist zwar zum großen Teil abhängig von der Höhe, jedoch nicht ausschließlich“, schränkt die Geologin ein. „Auch Jahrestemperatur, Verdunstung und Niederschlagsmenge spielen eine Rolle“. Um die Effekte des Klimawandels und der Gebirgsbildung auseinanderhalten zu können, entnahmen die Forscher daher für ihre Isotopenanalyse nicht nur Proben am Everest selbst, sondern auch am Fuße des Himalaya, an einem Ort, der vor 17 Millionen Jahren auf Meereshöhe lag. Denn ändert sich das Klima, beeinflusst dies beide Orte in gleichem Maße, so dass der Unterschied im Verhältnis der Sauerstoffisotope allein auf die Höhe zurückzuführen ist.
Eine Spatelspitze Gestein reichte
Die Spuren der uralten Regentropfen suchten die Forscher dort, wo Regen, Schnee oder Schneeschmelze durch Klüfte in größere Tiefen des Everest-Massivs einsickerten. Dazu mussten Orte am Mount Everest gefunden werden, an denen die einst mehrere Kilometer tief liegende Gesteine an die Oberfläche gekommen sind. An der Nordseite des Mount Everest endeckten die Forscher genau solche Stellen und entnahmen die benötigten Proben. „Aus den kilometerhohen Wänden kann man nicht kiloweise Proben hinunter transportieren“, so Gébelin. Das ist bei der Isotopenmessung auch nicht notwendig, es genügte eine Streichholzschachtel voll Gesteinsmaterial. „Zwei Milligramm haben uns für sämtliche Messungen ausgereicht – eine Spatelspitze voll.“
Klimaprägend schon seit 17 Millionen Jahren
Das Ergebnis der Analysen: Schon vor 17 Millionen Jahren ragte das Dach der Welt so weit in die Höhe wie heute – und schon damals prägte diese Gebirgsbarriere das Klima Südostasiens. Das Wissen über die Entstehung des größten Gebirges der Erde ist hilfreich, um die großen Klimaentwicklungen besser nachzuvollziehen. „Die Prozesse an der Erdoberfläche großer Gebirgsregionen sind ein besonders wichtiges Puzzlestück bei dem Versuch, globale Klimazusammenhänge zu verstehen und unser Wissen um die aktuelle Klimadebatte durch einen Blick in die Erdgeschichte zu vertiefen“, so Gébelin.
Aber nicht nur Klimaforscher dürften sich für die neuen Erkenntnisse interessieren, sondern auch Biologen. Der Himalaya ist ein bedeutendes Landschaftselement im Hinblick auf die Migration von Pflanzen und Tieren, aber auch eine Stätte schneller Evolution. „Für die Erforschung, wann welche Arten entstanden beziehungsweise verschwanden, ist es wichtig zu wissen, wann der Himalaya entstanden ist“, resümiert die Wissenschaftlerin des Senckenberg Forschungsinstituts in Frankfurt.(Geology, 2013; doi: 10.1130/G34331.1)
(Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen, 04.07.2013 – SEN)