Evolution im Turbogang: Das Kambrium mit seiner rasanten Explosion der Artenvielfalt begann später als bisher gedacht, wie eine neue Datierung enthüllt. Der Startschuss für eine Turbo-Evolution vieler neuer Baupläne und Arten fiel demnach vor 538,8 Millionen Jahren. Überraschend auch: Diese kambrische Explosion der Artenvielfalt dauerte nur gut 400.000 Jahre – nach Maßstäben der Evolution sei das ein echter „Sprint“, sagen die Forscher.
Am Beginn des Kambrium-Zeitalters gab es einen abrupten Zuwachs der irdischen Artenvielfalt. Innerhalb kurzer Zeit entwickelten sich die Baupläne fast aller heute bekannten Tiergruppen. Zu keiner anderen Zeit in der Erdgeschichte hat es eine so rapide Evolution neuer Organismen gegeben. Sogar Charles Darwin grübelte schon über diesen seltsamen Ausbruch des Lebens – und bis heute sind der Verlauf und die Ursachen dieser kambrischen „Explosion“ weitgehend ungeklärt.
Urzeitliche Vulkanasche als geologische Uhr
Wann genau der kambrische Evolutionsschub begann, haben nun Ulf Linnemann von den Senckenberg Naturhistorischen Sammlungen in Dresden und seine Kollegen ermittelt. „Wir konnten nun ein exaktes Zeitfenster für den Start dieses Ereignisses festlegen“, so die Forscher. Für ihre Studie datierten sie vulkanische Aschenablagerungen im Süden Namibias mithilfe der Uran-Blei-Methode. Die radioaktive Zerfallsreihe des Urans im Mineral Zirkon dient dabei als geologische Uhr.
„Wir haben die Proben an der Grenze zwischen Präkambrium und Kambrium genommen“, erklärt Linnemann. „Die beiden Erdzeitalter lassen sich gut durch die dort vorhandenen Fossilien unterscheiden.“ Während am Ende des Präkambriums die teilweise bizarren Wesen des sogenannten Ediacariums vorherrschten, wurden diese zu Beginn des Kambriums von Tieren mit „modernen“ Bauplänen abgelöst.
„Sprint“ der Evolution in nur 410.000 Jahren
Das Ergebnis: „Die von uns durchgeführten Uran-Blei-Datierungen zeigen, dass sich die Vielfalt des Lebens auf unserem Planeten ab einem Startpunkt vor genau 538,8 Millionen Jahren entwickelte“, berichtet Linnemann. Die kambrische Explosion begann damit rund zwei Millionen Jahre später als angenommen. Noch überraschender aber ist das kurze Zeitfenster, in dem dieser Evolutionssprung stattfand: Der neuen Datierung nach dauerte es nur rund 410.000 Jahre, bis der Übergang von der Ediacara-Lebenswelt zu den kambrischen Lebensformen vollzogen war. „Das ist aus geologischer Sicht ein echter Sprint“, sagen die Forscher.
Dieser rasante Faunen-Wechsel ist ihrer Ansicht nach am ehesten durch eine Art biologisches Wettrüsten zu erklären: Neue Eigenschaften lösten eine ganze Kaskade weiterer Anpassungen und Merkmale aus. „Eine Errungenschaft bedingte die nächste – und dies, aus der Notwendigkeit heraus, in verkürzter Zeit“, erklärt Linnemann. „Wenn die Organismen beispielsweise beweglicher wurden und sich räuberisch ernährten, mussten sich die bisher noch unbeweglicheren Tiere etwas zum Schutz ‚einfallen lassen’ – so könnten in kurzer Zeit Schalen oder Skelette entstanden sein.“ (Terra Nova, 2018; doi:10.1111/ter.12368)
Quelle: Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen