Dass eine Mutter bis zum Äußersten für ihre Kinder kämpft ist geradezu sprichwörtlich. Jetzt haben Wissenschaftler herausgefunden, dass es ein winziger Proteinbaustein, ein Peptid, sein könnte, der die Mütter so todesmutig macht: Das normalerweise bei Angst im Gehirn freigesetzte Peptid sinkt bei ihnen auf ungewöhnlich niedrige Konzentrationen ab.
„Wir sehen diese Schutzreaktion für den Nachwuchs bei so vielen Tieren“, erklärt Stephen Gammie, Zoologe an der Universität von Wisconsin-Madison. „Es gibt Geschichten von Katzen, die ihre Jungen aus brennenden Gebäuden retten oder Vögeln, die Menschen im Sturzflug angreifen, wenn ihre Kinder am Boden in Gefahr sind.“
Biologisch betrachtet macht es Sinn, dass Mütter ihr Leben im Zweifelsfall für das ihres Nachwuchses opfern, denn es sorgt dafür, dass die Gene der Eltern in der nächsten Generation überleben werden, so beschreibt Gammie den Hintergrund dieses Verhaltens. Aber die biologischen Mechanismen hinter diesem Verhalten – der mütterlichen Aggression –, wurde bisher kaum untersucht.
„Wir wissen seit langer Zeit, dass die Angst mit der Stillperiode abnimmt“, erklärt Gammie. „Vielleicht ist es diese Abnahme, die es Müttern erlaubt, in einer Situation anzugreifen, die bei ihnen normalerweise Flucht auslösen würde.“ Um diese Hypothese zu testen und genauer zu untersuchen, erforschten Gammie und seine Kollegen die Verbindung zwischen der mütterlichen Aggression und den Konzentrationen des Corticotropin-freisetzenden Hormons CRH, eines Peptids, dass verhaltensmodulierend auf das Gehirn wirkt, an Mäusen.
Kein Angriff mit viel CRH
Ungefähr sechs Tage nach der Geburt ihrer Jungen erhielten die Mäusemütter mehrere Injektionen mit entweder CRH oder einer Salzlösung ohne Peptid. Nach jeder Injektion, die einmal pro Tag an vier auf einander folgenden Tagen verabreicht wurde, wurden die Mütter zunächst zu ihren Jungen gesetzt. 28 Minuten später entfernten die Forscher die Jungen wieder und setzten stattdessen einen männlichen „Eindringling“ in den Mäusekäfig.
Normalerweise greifen weibliche Mäuse die Männchen sofort an, wie Gammie berichtet, weil die Männchen manchmal die Jungen fressen und „die beste Verteidigung dagegen ist für die Mütter der Angriff“. Doch in dem Experiment zeigten nur die Mäuse, die keine oder nur niedrige Dosen des Peptids erhalten hatten dieses normal aggressive Verhalten. Mit steigenden CRH-Dosen sanken sowohl die Anzahl der Angriffe als auch deren Dauer, die Mäuse mit den höchsten CRH-Konzentrationen griffen überhaupt nicht mehr an.
„Als wir die Männchen in den Käfig setzten, blieben einige der Mütter einfach ruhig sitzen. Sie waren überhaupt nicht beschützerisch, sondern zeigten eher eine Angstreaktion“, so Gammie. Die Wissenschaftler stellten jedoch fest, dass die Peptiddosierung nur die mütterliche Aggression beeinflusste, nicht aber andere mütterliche Verhaltensweisen. „Niedrige CRH-Konzentrationen scheinen ein notwendige Voraussetzung der mütterlichen Aggression zu sein. Wenn sie nicht niedrig sind, zeigt sich dieses beschützerische Verhalten nicht.“
Möglicher Zusammenhang zur postnatalen Depression
Der Forscher ergänzt, dass diese Ergebnisse – eines der ersten Nachweise über die möglichen biologischen Mechanismen hinter diesem Verhalten überhaupt – auch erklären könnten, warum manche Mütter ihren Nachwuchs vernachlässigen oder sogar ihm schaden. „Die postnatale Depression in einigen Individuen wurde bereits mit höheren Konzentrationen von CRH und einer verstärkten Stressreaktion in Verbindung gebracht. Wenn CRH niedrig sein muss, um die adäquate Schutzreaktion auszulösen, könnten dies erklären, warum Mütter mit unnormal hohen Konzentrationen des Hormons ihren Nachwuchs eher vernachlässigen.“
(University Of Wisconsin-Madison, 04.08.2004 – NPO)