Mehr als nur Deko: Der Virupaksha Tempel im indischen Pattadakal ist über und über mit Reliefs von Figuren bedeckt. Jetzt zeigt sich, dass diese 13 Jahrhunderte alten Götter- und Herrscherbilder der rätselhaften Chalukya-Dynastie eine tiefere Bedeutung haben als angenommen: Ähnlich wie frühe christliche Fresken erzählen sie ganze Geschichten, wie ein US-Forscherin herausfand.
Seit 13 Jahrhunderten bilden die reich verzierten, gestuften Dachtürme der Tempelanlage von Pattadakal eines der bekanntesten Beispiele für frühe indische Baukunst und Kultur. Die verschiedenen Hindu-Gottheiten gewidmeten Tempel aus dem 8. Jahrhundert gelten als wichtigste Überreste der Chalukya-Dynastie Süd- und Zentralindiens und sind seit 1987 Weltkulturerbe der UNESCO.
Typisch für diese Anlage sind stufige Bauten, die über und über mit Reliefs von Götter- und Herrscherfiguren bedeckt sind, prächtigstes Beispiel dafür ist der Virupaksha Tempel von Pattadakal. „Dieser Tempel ist der am besten erhaltene und wahrscheinlich der am meisten geschmückte, den die Chalukya errichteten“, erklärt Cathleen Cummings von der University of Alabama in Birmingham. Welche Bedeutung die Figurengruppen auf ihm aber haben, blieb lange Zeit unbekannt.
Nur isolierte Bildgruppen oder doch mehr?
„Lange Zeit glaubte man, dass die Skulpturen auf der Außenseite von Hindu-Tempeln keine tiefere Bedeutung als Gruppe besitzen“, erklärt Cummings. Zwar lassen sich einzelne Figuren durchaus Personen oder Göttern zuordnen, dennoch sah man in den Reliefs als Ganzem eher eine architektonische Verzierung und weniger ein durchgehendes inhaltliches Konzept. Einer der Gründe dafür: Von den Erbauern des Tempels, den Chalukya, sind kaum schriftliche Zeugnisse erhalten. „Abgesehen von ein paar sehr kurzen Inschriften auf diesem und anderen Chalukya-Bauwerken hat man bisher keine primären Quellen zu dieser Dynastie gefunden“, berichtet die Forscherin.
Doch der Kunsthistorikerin ließen vor allem die reichen Reliefs am Virupaksha Tempel keine Ruhe. „Ich hatte das Gefühl, dass eine sehr bewusste Entscheidung dahinter stand, wo welche Gottheiten und Arten von Gottheiten platziert waren“, so Cummings. Elf Mal reiste sie daher in den letzten zehn Jahren nach Indien, um die Figurengruppen genauer zu studieren, sie durchforstete alte Sanskritschriften und studierte Überlieferungen von Tempelritualen. Dann war sie sich ihrer Sache sicher.
Anleitungen für Gläubige und Bildgeschichten
Wie die Forscherin feststellte, steckt in den Reliefs mehr System als bisher angenommen. Ähnlich wie viele Reliefs und Fresken in christlichen Kirchen, erzählen auch diese Friese eine ganze Geschichte und vermitteln konkrete Botschaften. „Das sind keine zufällig aneinander gereihten Bilder, sie haben eine spezifische Aussage“, so Cummings.
So stieß sie am Virupaksha Tempel unter anderem auf eine Abfolge von Abbildungen, die schildern, wie jemand Zuflucht bei einer Gottheit sucht, dann seinen Glauben beweist und Erlösung erfährt. „Das scheint eine klare Sequenz zu sein, der die Gläubigen folgen sollten“, sagt die Kunsthistorikerin. Andere Bildreihen zeigen Ereignisse im Leben des Königs und seiner Familie – ähnlich wie eine Bildgeschichte.
Frauenpower im alten Indien
Und noch etwas enthüllten die Tempelreliefs: Frauen spielten in der frühen indischen Politik und Kultur eine wichtigere Rolle als bisher gedacht. So taucht beispielsweise Lokamahadevi , die Hauptfrau des Chalukya-Königs Vikramaditya II, immer wieder prominent in den Reliefs des Virupaksha Tempels auf. Schon vorher war bekannt, dass sie die Konstruktion dieses Tempels beauftragte und leitete, um die Siege und Regierungszeit ihres Gemahls zu ehren.
„Frauen hatten damals eine sehr prominente Rolle als Tempelpatroninnen und kontrollierten wahrscheinlich auch Ressourcen weitaus stärker als wir glauben oder zu wissen meinen“, sagt Cummings. Sie will nun auch die Reliefs anderer alter Hindu-Tempel auf deren Botschaften hin untersuchen.
(University of Alabama at Birmingham, 14.11.2014 – NPO)