Europa wird die internationale Zielvorgabe zum Wiederaufbau der Fischbestände bis 2015 um mehr als 30 Jahre verfehlen. Das zeigt eine Studie deutscher Meeresforscher. Nur drei von 54 untersuchten Fischarten im Nordost-Atlantik erreichen eine ausreichende Bestandsgröße. Der Zustand von zwölf Fischarten wie zum Beispiel Kabeljau, Scholle oder Heilbutt ist so schlecht, dass sie sich auch bei komplettem Fischereistopp nicht rechtzeitig erholen könnten.
Noch 2002 waren sich die europäischen Länder beim Weltgipfel in Johannesburg einig: Die Fischbestände sollten bis 2015 soweit aufgebaut, dass sie langfristig einen hohen Ertrag liefern können. Dieses Ziel ist nach Analysen von Kieler Wissenschaftlern des Exzellenzclusters „Ozean der Zukunft“ schon heute nicht mehr zu halten: Mit Seelachs, Ostsee-Sprotte und Stöcker erreichen nur drei von 54 untersuchten Fischarten im Nordost-Atlantik eine ausreichende Bestandsgröße. Der Zustand von zwölf Fischarten wie zum Beispiel Kabeljau, Scholle oder Heilbutt ist so schlecht, dass sie sich auch bei Einstellung der Fischerei nicht bis 2015 erholen könnten. Weitere Bestände ließen sich allein bei einer entsprechend reduzierten Fangquote rechtzeitig stabilisieren.
Vorsorgeprinzip verletzt
Die Wissenschaftler um Rainer Froese vom Leibniz-Institut für Meereswissenschaften (IFM-GEOMAR) und Professor Alexander Proelß von der Christan- Albrechts Universität zu Kiel legen in ihrer fächerübergreifenden Analyse außerdem dar, dass die regelmäßige, andauernde Überfischung zahlreicher Fischarten das im europäischen Recht verankerte Vorsorgeprinzip verletzt. „Das Vorsorgeprinzip ist ein verbindliches Rechtsprinzip, an das sich die europäischen Organe wie Kommission und Ministerrat halten müssen“, erklärt Proelß. „Mit der derzeitigen Praxis verstößt die Europäische Union nicht nur gegen das Völkerrecht, sondern auch gegen das eigene EU-Recht
Die Pflicht, Fischbestände nach dem Leitbild des größtmöglichen erreichbaren Dauerertrags zu bewirtschaften, wurde zunächst im internationalen Seerechtübereinkommen (UNCLOS) 1982 festgelegt, das 1994 in Kraft getreten war. Im „Johannesburg Plan of Implementation“ (2002) vereinbarten auch die Europäische Union sowie Norwegen, Russland und Island, ihre Fischereiressourcen bis 2015 nach dem Ansatz des größtmöglichen erreichbaren Dauerertrags zu bewirtschaften. „Bisher wurden die Vorgaben aber weder effektiv in nationales Recht umgesetzt, noch haben sie Einfluss auf die bestehende europäische Fischereipolitik“, stellt Proelß fest.
Fangquoten verhindern Erholung der Bestände
Im Gegenteil: Die Fangquoten für 2010 liegen wieder weit über den Mengen, die einen Aufbau der Bestände zulassen würden. „Wird die heutige Praxis fortgesetzt, verfehlt Europa das vom ihm selbst propagierte Ziel des Wiederaufbaus der Fischbestände um mehr als 30 Jahre“, erklärt Froese, Fischereibiologe am IFM-GEOMAR. Dabei könnten die Bestände und damit die Fangmenge für einzelne Fischarten bei nachhaltigem Management deutlich höher ausfallen.
„Nach unseren Berechnungen wären bis zu 79 Prozent mehr Erträge zu erzielen“, so Froese weiter. „In den Gewässern der europäischen Union werden die Bestände aber so gemanagt, dass sie gerade nicht zusammenbrechen. Diese Politik ist weder wirtschaftlich, noch ökologisch vertretbar.“ Die Studie wurde in der Fachzeitschrift „Fish and Fisheries“veröffentlicht.
(Leibniz-Institut für Meereswissenschaften, 22.01.2010 – NPO)