US-Forscher haben im Norden Guatemalas den bisher ältesten astronomischen Kalender der Maya entdeckt: Er stammt aus dem frühen 9. Jahrhundert und besteht aus Zahlenkolonnen und Symbolen, die an Wände und Decken eines Hauses in der heutigen Ruinenstadt Xultún gemalt wurden. Es scheint sich dabei um Berechnungen und möglicherweise sogar Notizen eines Gelehrten gehandelt zu haben, die halfen, die verschiedenen Zyklen der komplizierten Kalender der Maya umzurechnen beziehungsweise sie zu kombinieren.
Ähnliche Aufzeichnungen sind bisher lediglich aus den sogenannten Codices bekannt – vier Büchern aus Baumrinde, die jedoch mehrere Hundert Jahre später angefertigt wurden. Über die Entdeckung berichten William Saturno von der Boston University und seine Kollegen im Fachmagazin „Science“
Stadt aus der Blütezeit der Maya
Die Stadt Xultún erstreckt sich insgesamt über knapp 32 Quadratkilometer und hatte zu ihrer Blütezeit mehrere Zehntausend Einwohner. Nach dem Ende der klassischen Periode der Maya, als deren Hochkultur unterzugehen begann, wurde auch Xultún aufgegeben und nach und nach vom Dschungel zurückerobert. Wiederentdeckt wurde die Stadt dann zu Beginn der 20. Jahrhunderts. Lange Zeit waren es allerdings nur Plünderer und illegale Ausgräber, die dort ihr Unwesen trieben. Offiziell gegraben wird erst seit 2010. Der jetzt von den Forschern beschriebene bemalte Raum liegt in einem Gebäude, das sich etwa einen Meter unter der Erdoberfläche befindet. Er ist ebenfalls bereits geplündert und dabei stark beschädigt worden, so dass ein Teil der Wandbilder von der Witterung zerstört wurde. An drei Wänden sind jedoch noch viele Details erkennbar.
Es scheint zwei Arten von Bildern zu geben: Darstellungen von Menschen und ganze Kolonnen von Zahlen und Symbolen. Zu den ursprünglich wohl eher dekorativen Bildern gehört das auffallendste Gemälde des Raums: In einer Nische gegenüber des Eingangs prangt ein großes Bild eines sitzenden Königs, der mit blauen Federn bekleidet ist. Die Nische ließ sich offenbar mit einem Vorhang verschließen. Daneben gibt es ein weiteres Porträt eines Mannes mit einem Stift oder Griffel in der Hand. Dabei könnte es sich um den Hausbesitzer selbst handeln, vermuten die Forscher. Bezeichnet ist er mit „Jüngerer Bruder Obsidian“. An der westlichen Wand des Raums sieht man drei weitere, ganz in Schwarz gezeichnete Figuren mit weißen Lendentüchern und auffallenden, an eine Bischofsmitra erinnernde Kopfbedeckungen – eine Art Uniform, die laut dem Team so noch nie gefunden wurde.
Astronomische Berechnungen auf den Putz gemalt
Interessanter für die Forscher sind jedoch die Zahlenreihen, die einen großen Teil der Wände bedecken. Einige scheinen sich auf Mondphasen zu beziehen, andere hängen offenbar mit den Bahnen der Planeten Mars, Merkur und Venus zusammen. Wieder andere sind eindeutig Berechnungen, die das bereits bekannte komplizierte Kalendersystem der Maya verwenden. Offenbar diente zumindest ein Teil der Kalkulationen dazu, die verschieden langen Zyklen der unterschiedlichen Kalenderteile miteinander zu verrechnen oder sie ineinander umzurechnen, sagen die Wissenschaftler. Denn für die Maya sei wichtig gewesen, eine Harmonie zwischen Himmelsereignissen und geheiligten Ritualen zu gewährleisten.
Die Forscher vermuten, dass es sich bei dem Hausbesitzer um einen Maya-Gelehrten gehandelt hat, der die Wände seines Arbeitsraumes wie Tafeln für seine Berechnungen nutzte. Zum Teil habe er immer wieder neuen Putz aufgetragen, um freie Flächen für weitere Aufzeichnungen und Kalkulationen zu haben, schreiben sie. Solche Tabellen kannte man bisher ausschließlich aus den buchartigen Codices, die zwischen 1300 und 1500 entstanden, also mindestens 400 Jahre jünger sind. Der Fund von etwas Ähnlichem aus derBlütezeit der Maya belege nun, dass sie tatsächlich bereits sehr früh hervorragende Kenntnisse der Astronomie und der Mathematik besaßen, resümieren die Wissenschaftler.
(doi:10.1126/science.1221444)
(Science, 11.05.2012 – ILB)