Geowissen

Frei fließende Flüsse werden knapp

Nur noch ein Drittel der großen Ströme weltweit fließt ungehindert von der Quelle zur Mündung

Flüsse
Weltweit gibt es kaum noch große Flüsse, die ohne Dämme oder Staufstufen ungehindert von der Quelle zur Mündung strömen – hier ein Blick über den Rio de Coco und Rio Araguaia in Brasilien.© Day's Edge Productions / WW

Abgeschnürte Lebensadern: Zwei Drittel aller Flüsse weltweit strömen nicht mehr ungehindert in ihrem Bett, wie die erste globale Kartierung zum Zustand freifließender Flüsse enthüllt. Demnach beeinträchtigen Staudämme, Begradigungen und andere menschliche Eingriffe den Lauf der meisten großen Ströme. Das jedoch hat potenziell schwerwiegende Folgen für Ökologie, Umwelt und die Stoffkreisläufe des Planeten, warnen die Forscher im Fachmagazin „Nature“.

Ob Nil, Amazonas, Indus oder auch die Donau – große Flüsse sind die Lebensadern unseres Planeten. An ihren Ufern entstanden die ersten Hochkulturen der Menschheit, sie bieten Mensch und Natur wertvollen Lebensraum. Gleichzeitig spielen die großen Ströme eine wichtige Rolle als Akteure im globalen Stoffkreislauf. Denn mit ihrem Wasser strömen Nährstoffe, Sedimente und andere Stoffe aus dem Inland der Kontinente in die Ozeane.

Staudamm
Staudämme wie hier der Mica-Staudamm am Columbia River in Kanada sind die Hauptursache für die Fragmentierung von Flüssen. © DAR56/ gemeinfrei

Für die Flüsse wird es eng

„Seit Jahrtausenden liefern Flüsse uns Nahrung und Wasser zum Trinken und für die Landwirtschaft, dienen uns als Transportwege und neuerdings auch als Ressourcen für die Energiegewinnung und die industrielle Produktion“, erklären Günther Grill von der McGill University in Montreal und seine Kollegen. Doch für die Flüsse blieb dies nicht ohne Folgen. Viele große Ströme sind inzwischen stark verschmutzt und übernutzt, wie schon 2010 eine globale Kartierung ergab.

Doch es gibt noch eine Bedrohung für die fluvialen Lebensadern: Sie werden immer stärker abgeschnürt. Begradigungen, Staudämme und andere Eingriffe schränken den freien Fluss des Wassers in vielen Flüssen ein. Weltweit gibt es heute geschätzte 2,8 Millionen Staudämme und Staustufen, die der Energiegewinnung, der Schifffahrt, der Bewässerung und weiteren Zwecken dienen.

Erste globale Bestandsaufnahme

„Als Folge sind die Flüsse einem zunehmenden Druck durch Fragmentierung und den Verlust der Konnektivität ausgesetzt“, erklären Grill und seine Kollegen. Der Austausch von Wasser, aber auch Nährstoffen und Sediment mit den umliegenden Landflächen, dem Ozean und teilweise auch der Atmosphäre wird dadurch eingeschränkt. Wie weit diese Einschränkung inzwischen geht, haben die Forscher nun in einer ersten globalen Bilanz ermittelt.

Für ihre Studie analysierten Grill und sein Team den Zustand von 242 Flüssen von deren Quelle bis zur Mündung, insgesamt erfassten sie so mehr als zwölf Millionen Flusskilometer weltweit. Mithilfe eines Flussnetzwerk-Modells berechneten sie für jeden Fluss die Art und den Grad der Beeinträchtigung. Dadurch entstand eine Weltkarte, die für die wichtigsten Flüsse der Erde aufzeigt, ob und wie stark ihr Fluss durch menschliche Eingriffe eingeschränkt ist.

Nur noch ein Drittel fließt ungehindert

Das Ergebnis: Die meisten großen Ströme und Flusssysteme der Erde fließen nicht mehr frei, sondern sind in ihrem Lauf durch menschliche Eingriffe behindert. „Nur noch 37 Prozent der mehr als tausend Kilometer langen Flüsse weltweit sind auf ganzer Länge freifließend“, berichten Grill und sein Team. Und diese wenigen Relikte natürlichen Flussverlaufs liegen vorwiegend in entlegenen, dünn besiedelten Gebieten wie der Arktis, dem Amazonasbecken und in geringerem Maße auch dem Kongobecken.

Alle anderen Flüsse sind vor allem durch Dämme, Talsperren und Staustufen fragmentiert, wie die Kartierung ergab. Von den 91 großen Flüssen, die direkt ins Meer münden, haben sogar nur noch 23 Prozent einen freien und natürlichen Lauf von der Quelle zur Mündung. „Das ist besonders besorgniserregend, denn diese Flüsse sind von entscheidender Bedeutung für den Austausch von Wasser, Nährstoffen, Sediment und Arten mit den Deltas, Ästuarien und dem Ozean“, betonen die Wissenschaftler.

Schlechte Aussichten

Besonders drastisch machen sich die Eingriffe in den Lauf der Flüsse in dicht besiedelten Regionen wie Nordamerika, Europa oder dem Süden Asiens bemerkbar – hier sind kaum noch freifließende Flüsse übrig, wie die Forscher berichten. Und die wenigen Flüsse, die dort zumindest in Teilstrecken noch ungehindert fließen können, sind häufig durch schon geplante Staudämme gefährdet. Denn weltweit sind allein für die Wasserkraft bereits mehr als 3.700 Staudämme geplant oder im Bau.

Ein Beispiel für solche akut bedrohten Flusssysteme ist neben dem Amazonas der Mekong. Trotz starker Eingriffe kann dieser wichtige Strom Südostasiens bisher im Unterlauf noch weitgehend frei fließen, wie die Forscher erklären. Doch genau dort sind zwei Wasserkraftwerke mit Staudämmen geplant. „Die Sambor und Stung Treng-Wasserkraft-Projekte könnten für den Mekong zum Todesstoß werden“, warnen die Wissenschaftler in einer ergänzenden Beispielliste.

„Angesichts des aktuellen Zustands und dieser Zukunftsperspektive für die Flüsse müssen wir handeln, um die bedrohten Flusssysteme zu bewahren oder zu renaturieren“, konstatieren Grill und sein Team. „Unsere erste Weltkarte der verbliebenden freifließenden Flüsse kann dabei helfen, diese Systeme zu erhalten und zu schützen.“ (Nature, 2019; doi: 10.1038/s41586-019-1111-9)

Quelle: World Wildlife Fund, Universität Tübingen

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