Geowissen

Friedhof der irdischen Urkruste

Tief im Erdmantel liegen noch Relikte der vor 4,5 Milliarden Jahren gebildeten Protokruste

Urerde
Vor gut 4,5 Milliarden Jahren begann das Magma der Urerde abzukühlen und die erste feste Kruste entstand. Gibt es von ihr noch Relikte? © Thanapol sinsrang/ Getty images

Primordiale Relikte: Tief im Erdmantel liegen offenbar noch Reste der allerersten Kruste unseres Planeten begraben – der vor 4,5 Milliarden Jahren aus glutflüssigem Magma gebildeten Protokruste. Indizien dafür haben Geologen bei Isotopenanalysen von Tiefengesteinen in Südafrika entdeckt. Deren Wolfram-Isotope deuten darauf hin, dass Reste der Protokruste entgegen bisherigen Annahmen im unteren Erdmantel erhalten geblieben sind – und an manchen Vulkanen mit tiefen Wurzeln wieder zutage treten.

Die Erdkruste und der unter ihr liegende Erdmantel sind in ständiger Bewegung: Große Umwälzströmungen lassen die Kontinente driften, drücken kollidierende Erdplatten in die Tiefe und bringen andernorts heißes Magma wieder an die Oberfläche. Diese Strömungen treiben nicht nur die Plattentektonik an, sie sorgen auch dafür, dass sich das zähflüssige Gestein des Erdmantels durchmischt und ständig „recycelt“ wird.

Mantelkonvektion
Gängiger Annahme nach sorgt die Mantelkonvektion für eine ständige Durchmischung des Erdmantels. © USGS

Geochemisches Gedächtnis gelöscht?

Das aber bedeutet auch, dass das geochemische „Gedächtnis“ unseres Planeten immer wieder überschrieben wird. Gängiger Annahme nach besteht daher keine Chance, noch Relikte der allerersten Erdkruste zu finden – der Protokruste, die sich vor mehr als vier Milliarden Jahre beim Erkalten des primordialen Magmaozeans bildete. „Durch die Plattentektonik haben die zugänglichen Silikatreservoire der Erde ihre Erinnerungen an die ersten rund 500 Millionen Jahre der Erdgeschichte weitgehend verloren“, erklären Jonas Tusch von der Universität zu Köln und seine Kollegen.

Oder doch nicht? Wie die Forscher jetzt entdeckt haben, liegen offenbar doch noch Relikte aus der Anfangszeit unseres Planeten tief im Erdmantel verborgen. Für ihre Studie hatten sie Gesteinsproben aus dem rund 3,55 Milliarden Jahre alten Kaapvaal-Kraton in Südafrika einer Isotopenanalyse unterzogen. Diese Gesteine gehören zu den ältesten der Erde und wurden einst aus dem Erdmantel zutage gefördert.

Verräterische Isotopen-Anomalien

Die Isotopenanalysen ergaben, dass Teile dieses alten Gesteins auffällige Defizite bei einem Wolfram-Isotop zeigten. Sie enthielten bis zu neun Millionstel Anteile weniger vom Isotop Wolfram-182 als das normale, moderne Mantelgestein. Parallel zu diesem Defizit wiesen diese Gesteinsproben auch abweichende Muster bei weiteren, sehr langlebigen Isotopen von Hafnium, Cer und Neodym auf, wie das Team berichtet.

Das Spannende daran: Diese Abweichungen, speziell beim Wolfram, könnten auf Relikte der Protokruste zurückgehen – allerdings auch auf andere Prozesse wie beispielsweise geochemische Wechselwirkungen an der Kern-Mantel-Grenze. Um herauszufinden, welche Erklärung am besten zu den gemessenen Werten passt, rekonstruierten Tusch und seine Kollegen das Geschehen in einem geochemischen Modell.

Szenario
Das Szenario: Die Protokruste (blau) bildet sich und beginnt, sich geochemisch auszudifferenzerien. Dabei entstehen schwerere Gesteine (grün) , die in den Erdmantel sinken. Als der Kraton vor 3,55 Milliarden Jahren durch einen Mantelplume gebildet wurde, gelangte ein Teil dieser Krustenrelikte wieder an die Oberfläche.© Tusch et al./ PNAS, CC-by-sa 4.0

Fingerabdruck der Urkruste

Das Ergebnis: Weder eine Vermischung mit Kernmaterial noch eine Anreicherung von durch Einschläge auf die Erde gelangtem Material konnte im Modell die spezifischen Isotopenverhältnisse in den Gesteinsproben erklären. Stattdessen stimmen die Messwerte nach Angaben der Wissenschaftler am besten mit einem Gestein überein, das vor mehr als vier Milliarden Jahren aus der Protokruste in die Tiefe sank.

„Wir gehen davon aus, dass die unteren Stockwerke der Kruste, sozusagen die Wurzeln der Urkontinente, durch einen geologischen Reifungsprozess schwerer wurden als ihre Umgebung und deshalb in den unterliegenden Erdmantel gesunken sind – ähnlich wie in einer Lavalampe“, erläutert Tusch. Diese Relikte der Protokruste gelangten so in den unteren Erdmantel und blieben dort, nahe der Kern-Mantel-Grenze, von der Durchmischung des restlichen Mantels weitgehend unberührt.

Friedhof der primordialen Krustenreste

Das aber bedeutet: Entgegen gängiger Annahme haben Teile der primordialen Erdkruste die Zeit überdauert. Sie ruhen seit mehr als vier Milliarden Jahren in einer Art „Friedhof“ am Grund des Erdmantels. Nur über Mantelplumes – tief hinabreichende Aufströmungen heißen Magmas – gelangen einige dieser Reste ab und zu in höhere Lagen und manchmal bis an die Erdoberfläche wie im Falle des Kaapvaal-Kratons in Südafrika.

Nach Ansicht der Forscher könnte dieses Szenario zudem erklären, warum ähnlich auffällige Isotopenanomalien auch schon an einigen Hotspotvulkanen wie auf Hawaii, La Reunion oder den Galapagosinseln gemessen wurden: Auch die Mantelplumes dieser Vulkane fördern offenbar ab und zu Reste der primordialen Kruste zutage.

Zeitkapsel der jungen Erde

„Diese faszinierende Erkenntnis eröffnet die Möglichkeit, einen geochemischen Fingerabdruck der frühen Erde zu erhalten“, sagt Koautor Elis Hoffmann von der Freien Universität Berlin. Das wiederum eröffne wertvolle Einblicke in die geochemischen Prozesse, die unseren Planeten in seiner ersten Anfangszeit prägten.

„Wir können dadurch besser verstehen, wie im Laufe der Erdgeschichte große Kontinente entstanden sind und wie sich eine sauerstoffreiche Atmosphäre ausbilden konnte – eine wichtige Grundvoraussetzung für die Entstehung komplexer Lebensformen“, so Hoffmann weiter. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2022; doi: 10.1073/pnas.2120241119)

Quelle: Universität zu Köln, Freie Universität Berlin

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