Archäologie

Frühe Steinzeitbauern bevorzugten Inzucht

Menschen vor 9.000 Jahren wählten fast ausschließlich Verwandte als Partner

Bei diesen in Basta gefundenen Gebiss fehlen die Plätze für die äußeren Schneidezähne (rot) - eine erbliche Fehlbildung, die heute sehr selten ist, vor 9.00 Jahren in Basta aber bei jedem Dritten vorkam. © Benz et al. /PLoS ONE

Steinzeitliche Bauern bevorzugten offenbar die Verwandtenehe: Sie wählten fast ausschließlich enge Angehörige als Partner, statt in anderen Familiengruppen nach einer Frau oder einem Mann zu suchen. Das belegen Analysen von 9.000 Jahre alten Zähnen und Gebissen, die ein internationales Forscherteam in einem Steinzeitdorf in Jordanien fand. Sie weisen deutliche Spuren von Inzucht und extremer Ortstreue auf. Möglicherweise sollte durch diese Paarungspraxis die Gruppe gestärkt und die Nahrungsressourcen im engsten Kreis behalten werden, vermuten die Wissenschaftler im Fachmagazin „PloS ONE“.

„Der Übergang vom Nomadenleben zur Sesshaftigkeit und zur Landwirtschaft war eine der größten Herausforderungen in der Geschichte der Menschheit“, erklären Marion Benz vom Institut für Vorderasiatische Archäologie der Universität Freiburg und ihre Kollegen. Dieser Wandel begann vor rund 10.000 Jahren im Nahen und Mittleren Osten und breitete sich dann nordwestwärts nach Europa aus. Welche Veränderungen die Sesshaftigkeit im Sozialleben der damaligen Menschen auslöste, ist bisher kaum bekannt, wie die Forscher erklären. Beobachtungen an heutigen Naturvölkern deuten aber darauf hin, dass sich mit dem Abschied von den allen gehörenden Ressourcen der Jäger und Sammler auch die Gruppen enger zusammenrückten und geschlossenere Einheiten bildeten.

Erbliche Fehlbildung bei jedem dritten Toten

Wie sich der Wandel auf die Familienstrukturen auswirkte, haben die Forscher nun anhand von Fundstücken aus einer in Basta in Jordanien entdeckten steinzeitlichen Siedlung untersucht. Bei Ausgrabungen der rund 9.000 Jahre alten Relikte wurden Skelettreste von mehr als 50 Menschen gefunden. „Früher standen uns hauptsächlich die Ruinen der Häuser sowie Gräber zur Verfügung, um die soziale Organisation zu rekonstruieren“, sagt Benz. Nun konnten die Wissenschaftler erstmals auch die Zähne und Kiefer der ehemaligen Dorfbewohnerinnen und -bewohner untersuchen.

Dabei zeigte sich, dass bei mehr als einem Drittel der Toten die seitlichen oberen Schneidezähne fehlten – nicht wegen einer Krankheit oder eines Unfalls, sondern aufgrund einer erblichen Fehlbildung, wie die Forscher erklären. Diese Fehlbildung komme normalerweise nur bei etwa einem bis zwei Prozent aller Menschen weltweit vor. Dass im steinzeitlichen Basta jeder dritte Mensch daran litt, lasse auf Inzucht schließen. Offenbar praktizierten diese ersten Bauern der Steinzeit die sogenannte Endogamie – die Fortpflanzung nur mit Angehörigen der eigenen Verwandtschaftsgruppe.

Die Ruinen von Basta im Süden Jordaniens. © Marion Benz

Weitere Ergebnisse stützen diese These: Die Forscher hatten in den Zähnen der Steinzeit-Bauern das Verhältnis bestimmter Isotope analysiert, die sich während der Bildungsphase des Zahnschmelzes darin ablagerten. Art und Mengenverhältnis dieser Atomsorten lassen Rückschlüsse auf die Ernährung und über deren pflanzliche Komponenten auch auf den Lebensraum der Menschen zu. Die Auswertungen der Zahnanalysen ergaben, dass alle in Basta gefundenen Toten dort aufgewachsen waren und bis zu ihrem Lebensende dort gelebt haben müssen.

Paarung mit Verwandten freiwillig – nicht aus der Not geboren

Dass diese Beschränkung auf nur die Familiengruppe freiwillig geschah und nicht, weil das Dorf beispielsweise von seiner Umgebung abgeschnitten war, belegen weitere Funde. Die Wissenschaftler entdeckten an der Ausgrabungsstätte beispielsweise Korallen aus dem Toten Meer – ein Hinweis, dass die Bewohner von Basta durchaus Handelsbeziehungen pflegten oder vielleicht sogar selbst Reisen unternahmen. Die Lage des Ortes oder eine Isolation war demnach nicht der Grund für ihr endogames Leben.

„Bisher existierten Belege für eine freiwillige Endogamie nur aus urbanisierten, durch starke Hierarchien geprägte Gesellschaften“, erklären die Forscher. So war beispielsweise die Geschwisterehe unter den Pharaonen Ägyptens üblich, ebenso bei den herrschenden Dynastien der Zoroaster in Persien und des Abbad-Stammes in Jordanien. Skelette der La Tène-Kultur aus der Eisenzeit, die im schweizerischen Münsingen-Rain gefunden wurden, lassen ebenfalls auf eine verbreitete Verwandtenehe nur der hochrangigen Klasse schließen.

„Im Gegensatz dazu deuten die Funde in Basta auf eine frühe freiwillige Endogamie hin, ohne dass es Anzeichen für eine politische, ökonomische oder ideologische Differenzierung oder Hierarchie in der Gruppe gibt“, konstatieren Benz und ihre Kollegen. Die endogame Lebensweise sei offenbar eine bewusste Wahl dieser frühen Bauern gewesen. Möglicherweise wollten sie so den Zugang zu wertvollen Ressourcen wie Nahrung auf die eigene Verwandtschaft beschränken. Vielleicht war Endogamie ein Mittel, um den Zusammenhalt in der Gruppe zu stärken und Streitigkeiten beiseite zu schaffen, spekulieren die Forscher – eine Form des steinzeitlichen Konfliktmanagements. (PloS ONE, 2013; doi: 10.1371/journal.pone.0065649)

(PloS ONE / Universität Freiburg im Breisgau, 13.06.2013 – NPO)

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