Technologischer Fortschritt in der Steinzeit: Eine neue und effizientere Technik zur Herstellung von Steinwerkzeugen entstand zeitgleich in Eurasien und in Afrika, berichtet ein internationales Forscherteam. Bislang hatten Forscher angenommen, die Technik sei von aus Afrika verbreitet worden – die Innovation schien zu anspruchsvoll, um unabhängig an mehreren Stellen zu entstehen. Nun ergeben sich völlig neue Einblicke in den Einfallsreichtum, mit dem die Frühmenschen ihren Alltag bewältigten, schreiben die Forscher im Magazin „Science“.
Der Gebrauch und vor allem die Weiterentwicklung von Werkzeugen ist eine Fähigkeit, die den Menschen und insbesondere unsere Vorfahren auszeichnet. Bislang gingen Wissenschaftler davon aus, dass die damit verbundenen Innovationen für die Frühmenschen während ihrer Entstehungsgeschichte recht kompliziert gewesen sein müssen – daher die Annahme, bestimmte Techniken seien an einer Stelle entdeckt oder erfunden und hätten sich von dort ausgebreitet.
Bahnbrechende Steinbearbeitung
Herstellung und Gebrauch von Faustkeilen in der frühen Steinzeit etwa stützt diese Theorie: Diese Technologie ist durch Funde in Afrika erstmals vor rund 1,75 Mio. Jahren belegt, tritt im Südwesten Asiens dann vor rund 1,5 Mio. auf, in Europa aber erst vor ca. 600-900.000 Jahren. Der steinerne Faustkeil bestimmt dann lange Zeit als Allzweckgerät den „Werkzeugmarkt“ der Frühmenschen. Er entstand aus einem Stein mit geeigneter Form, der beidseitig zugehauen wurde und so den letzten Schliff erhielt.
Vor rund 300.000 Jahren tauchte dann jedoch eine geradezu bahnbrechende Neuerung auf: Die Steinbearbeitung nach der Levallois-Technik. Dabei wird ein nahezu beliebiger Stein zunächst in Form gebracht. Von diesem Kern lassen sich schließlich im Idealfall gleich mehrere Werkzeuge abschlagen: Klingen, Speerspitzen, Fellschaber und ähnliches. Das Rohmaterial lässt sich so viel effizienter nutzen, und die erhaltenen Klingen sind von besserer Qualität. Die Methode gilt Paläontologen als Marker für den Übergang von der frühen zur mittleren Steinzeit, dem Mittelpaläolithikum. Bisher nahmen Wissenschaftler an, auch diese Technik hätte ihren Ursprung in Afrika gehabt und sich von dort mit wandernden Menschen und über soziale Kontakte weiter verbreitet.
Parallele Entwicklung an unterschiedlichen Orten
Steinwerkzeuge aus der Fundstelle Nor Geghi 1 in Armenien stellen diese Sichtweise nun jedoch in Frage: Hier nutzten Frühmenschen vor etwa 325.000 Jahren eine Zeit lang beide Methoden gleichzeitig. Wissenschaftler um Daniel Adler von der Universität Connecticut schließen daraus, dass dort gerade die eine Technik aus der anderen hervorging: „Die Kombination dieser verschiedenen Technologien an einem Ort deutet für uns darauf hin, dass die Menschen an der Fundstelle vor 325.000 erfinderisch waren“, so Adler. Die Technik ist demnach parallel in Eurasien entwickelt worden, anstatt aus Afrika übernommen zu sein.
„Wenn wir alle diese Fundstücke einem Archäologen zeigten, würde er sie sofort in zwei zeitlich getrennte Gruppen ordnen“, verdeutlicht der Wissenschaftler. In Wahrheit seien sie aber alle aus derselben Zeit. An der Nor Geghi Fundstelle lebten zu dieser Zeit Neandertaler, während die Erfindung der Levallois-Technik bislang den Vorfahren des modernen Menschen in Afrika zugeschrieben wurde. Zwischen diesen Gruppen bestand über diese Entfernung kein Kontakt, auf dem die Neuerung weitergegeben sein könnte.
Einfallsreiche Planer
Außerdem erwiesen sich die Menschen von Nor Geghi als weitaus einfallsreicher und planerisch entwickelter, als ihnen bisher zugetraut wurde: Sie hatten durchaus das nötige Abstraktionsvermögen, dass für die Levallois-Technik nötig ist. Darüber hinaus nutzten sie beachtlich große Landstriche mit teilweise völlig unterschiedlichen Umweltbedingungen: Chemischen Untersuchungen zufolge stammt das Rohmaterial für die Steinblöcke aus bis zu 120 Kilometer entfernten Obsidianvorkommen.
„Die Landnutzungssysteme dieser Menschen waren offenbar größer und komplexer, als wir bisher dachten“, so Koautor Olaf Jöris vom Archäologischen Forschungszentrum und Museum für menschliche Verhaltensevolution bei Neuwied, und unterstreicht die Bedeutung des Fundes: „Wir erhalten hier ganz neue Einblicke in das Abstraktionsvermögen der Menschen und die Flexibilität, mit der sie technische Lösungen für ihren Alltag generierten. Eine Flexibilität, die im westlichen Eurasien über die folgenden 250 Jahrtausende das Leben der Neandertaler charakterisierte, während in Afrika vergleichbare Verhaltensweisen den frühen modernen Menschen kennzeichnen.“
(Science, 2014; doi: 10.1126/science.1256484)
(University of Connecticut / Römisch-Germanisches Zentralmuseum – Forschungsinstitut für Archäologie, 26.09.2014 – AKR)