Vor drei Jahren schwitzte Europa wie nie zuvor: Der heißeste Sommer seit Beginn der Wetteraufzeichnungen kostete nach Schätzungen europaweit mehreren zehntausend Menschen das Leben. Und auch dieses Jahr sorgen die hochsommerlichen Temperaturen in Deutschland bei vielen Bürgern für gesundheitliche Probleme. Wissenschaftler der Universität Bonn wollen solche "ungesunden" Wetterlagen künftig besser vorhersagen.
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Mit Unterstützung der Stadt und des Landschaftsverbands Rheinland haben sie ein Langzeitprojekt initiiert, an dem auch die Forschungsgruppe GEOMED der Universität Köln beteiligt ist. Die Wissenschaftler aus der Domstadt analysieren bis Ende 2008 die Rettungsdiensteinsätze in Bonn. Ziel der Projektpartner ist es herauszufinden, welcher Zusammenhang zwischen bestimmten Krankheitsbildern und Parametern wie Feuchtigkeit, Temperatur, Feinstaub- oder Ozonbelastung im Stadtgebiet besteht.
Ein Zeppelin über der Hofgartenwiese
Spektakulärer Startschuss des Projekts ist heute der Start eines Zeppelins auf der Hofgartenwiese der Universität Bonn. Eine Woche lang wird der kleinwagengroße rote Zeppelin über der Hofgartenwiese schweben. "Mit einer elektrischen Winde können wir ihn bis auf 200 Meter Höhe steigen lassen", erklärt Professor Clemens Simmer vom Meteorologischen Institut der Uni Bonn. "An der Schnur sind untereinander Sensoren für Druck, Wind, Temperatur und Feuchte installiert. So wollen wir messen, wie es um die Qualität der bodennahen Luftschichten in der Innenstadt bestellt ist."
Der Start des meteorologischen "Versuchsballons" ist Teil eines einwöchigen Praktikums: Die Bonner Studenten sollen so das Methodenrepertoire ihres Fachs im Feldversuch kennen lernen. Die Praktikumsberichte verstauben jedoch später nicht in irgendwelchen Schubladen: Die Daten fließen in ein ambitioniertes Langzeitprojekt ein.
Wissenschaftler aus Bonn und Köln haben sich zum Ziel gesetzt, gesundheitsgefährdende Wetterlagen künftig genauer vorherzusagen. Der Handlungsbedarf liegt auf der Hand: Klimaforscher prognostizieren, dass extreme Hitzeperioden wie im August 2003 künftig noch häufiger auftreten werden.
Strampeln für die Wissenschaft
Auch körperlich sind die angehenden Wetterkundler während ihres Praktikums gefordert: Die Studenten strampeln mit Fahrrädern durch Bonn, an denen in 50 Zentimetern und zwei Metern Höhe Messfühler angebracht sind. "Wir wollen so herausfinden, wie sich Temperatur und Feuchte vom Stadtrand zum Zentrum hin verändern", erläutert der Bonner Meteorologe Dirk Schüttemeyer, der inzwischen beim Nationalen Komitee für Global Change Forschung in München beschäftigt ist.
"Ziel ist es unter anderem, so genannte Hot Spots zu identifizieren – das sind Stadtregionen mit einem besonders warmen oder schwülen Mikroklima." Andere Stationen, so auch auf dem Dach des Rheinischen Landesmusemums, erfassen beispielsweise die wärmebedingten Luftströmungen oder den Kohlendioxid-Gehalt der Luft in Bodennähe. Die Stadt misst zudem die Ozon- und Feinstaubbelastung im Stadtgebiet.
"Kreislaufwetter"
Doch wie ungesund ist das viel beschworene schwülwarme "Kreislaufwetter" wirklich? Bei dieser Frage kommt die Forschungsgruppe GEOMED der Universität Köln ins Spiel. Die Forscher aus der Domstadt haben schon im Jahrhundertsommer 2003 versucht, den Einfluss des Wetters auf die Gesundheit nachzuvollziehen. "Wir kooperieren seit Jahren mit der Rettungsleitstelle der Feuerwehr und dem Universitätsklinikum in Bonn", sagt GEOMED-Forscher Carsten Butsch. "Wir werden über jeden Rettungs- und Krankentransport im Stadtgebiet informiert und erfahren, warum die Patienten eingeliefert wurden." Die anonymisierten Daten enthalten auch das Alter der Betroffenen. So lässt sich abschätzen, welche Wetterlagen beispielsweise für Senioren besonders gefährlich sind.
Gehapert hat es 2003 an den Klimadaten. "Wir konnten fast ausschließlich auf Daten vom Messdorfer Feld zurückgreifen", bedauert Butsch. Dieses weitgehend unbebaute Gebiet am westlichen Stadtrand Bonns dient der Bundesstadt jedoch als Frischluftschneise. Je nach Windverhältnissen kann es hier schon mal 10 Grad kälter sein als im Zentrum. Die Bonner Meteorologen sollen nun kleinräumigere Daten liefern: Denn wenn am Bertha-von-Suttner-Platz eine kühlende Brise geht, kann sich nur wenige Meter weiter in der Wenzelgasse die Hitze noch unerträglich stauen.
Das Kooperationsprojekt ist ambitioniert: "Wir möchten nicht nur unsere lokalen Vorhersagemodelle verbessern und herausfinden, welche Wetterkonstellationen besonders gesundheitsgefährdend sind", sagt Schüttemeyer. "Letztendlich möchten wir Rettungsdienste und Ärzte warnen können, wenn in einer Woche oder zehn Tagen aufgrund des Wetters deutlich mehr Notfälle als normal zu erwarten sind." Die Mediziner könnten sich dann besser auf derartige Notlagen einstellen, so dass sie auf eine Wiederholung des Hitzedramas von 2003 besser vorbereitet wären.
(idw – Universität Bonn, 18.07.2006 – DLO)