Umwelt

Fukushima: Radioaktive Staubwolke nach Erdarbeiten

Bewohner der nahen Stadt Minamisoma wurden 30-fach erhöhter Belastung ausgesetzt

Besuch von IAEA-Gutachtern auf dem Gelände von Fukushima Daiichi. © Tepco

Rückkehrer leben gefährlich: In der japanischen Stadt Minamisoma ist noch zwei Jahre nach der Atomkatastrophe von Fukushima eine radioaktive Staubwolke niedergegangen, wie Messungen nun enthüllen. Die Bewohner der Stadt wurden im Sommer 2013 vorübergehend 30-fach erhöhten Werten an radioaktivem Cäsium ausgesetzt. Ursache für die Kontamination: Ungenügend gesicherte Erdarbeiten im Atomkraftwerk Fukushima Daiichi.

Dass in Fukushima einiges schief läuft, ist nichts Neues. Denn auch mehr als vier Jahre nach der Atomkatastrophe im japanischen Kernkraftwerk Fukushima Daiichi, schafft es der Betreiber Tepco kaum, die Probleme zu bewältigen. Bis heute treten durch Lecks immer wieder große Mengen radioaktiv kontaminierten Kühlwasser aus und gelangen in Boden und Ozean.

Plötzlich 30-fach erhöhte Werte

Doch es gibt noch eine Quelle der Kontamination in Fukushima, wie Auswertungen von Luftmessstationen und Bodenproben aus der Gegend um Fukushima nun zeigen. In der Stadt Minamisoma, rund 30 Kilometer von Fukushima Daiichi entfernt, registrierten Messgeräte im August 2013 plötzlich ein auffallendes Hochschnellen der Werte für das radioaktive Cäsium-137.

„Während dieses Ereignisses registrierten die Messgeräte 30-fach über dem Hintergrund liegende Cäsium-Werte“, berichten Georg Steinhauser von der Leibniz Universität Hannover und seine Kollegen. Bis zu diesem Zeitpunkt war die nördlich von Fukushima gelegene Stadt weitgehend vom radioaktiven Fallout des Atomunglücks verschont geblieben.

Cäsium-137-Messwerte nördlich von Fukushima im August 2013 (in mBq pro Kubikmeter) © Steinhauser et al.

Ungesicherte Erdarbeiten im Atomkraftwerk

Woher aber kam diese plötzliche Kontamination? Nähere Untersuchungen ergaben, dass auch eine Bodenprobe aus Minamisoma zu dieser Zeit stark mit radioaktivem Strontium-90 verseucht wurde. Weil dieses Strontium-Isotop schwer flüchtig ist und vom Wind nicht weit verteilt wird, muss es nach Ansicht der Forscher aus dem nahegelegenen Kraftwerk stammen.

„Wir gehen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon aus, dass die Staubwolken vom AKW-Gelände stammen“, sagt Steinhauser. Der Grund für diese Kontamination: Im August 2013 führte der Kraftwerksbetreiber Tepco auf dem Gelände von Fukushima Daiichi Erdarbeiten aus, bei denen radioaktiv verseuchter Boden umgesetzt wurde. Der dabei aufgewirbelte Staub muss in die Umwelt gelangt sein und wurde dann vom Wind Richtung Norden mitgetragen.

Ausmaß selbst für die Forscher überraschend

Dass dabei so viel Radioaktivität nachträglich frei wurde, überrascht selbst die Forscher. Insgesamt wurden ihren Berechnungen nach allein am 19. August 2013 knapp 300 Gigabecquerel an Cäsium-137 auf dem AKW-Gelände freigesetzt und durch den Wind weitergetragen worden. Das entspricht etwa einem 50.000stel des Gesamtfallouts an Cäsium-137 bei der Fukushima-Katastrophe.

„Das haben wir nicht für vorstellbar gehalten“, sagt Steinhauser. „Tepco hat offensichtlich die einfachsten Vorsichtsmaßnahmen wie etwa Abdeckungen mit Planen zur Staubunterdrückung und das Warten auf günstige Windverhältnisse außer Acht gelassen.“ Auch die Arbeiter auf dem Kraftwerksgelände waren dabei offenbar einer hohen Belastung mit radioaktivem Staub ausgesetzt. Das legen Auswertungen von Meldungen des Kraftwerksbetreibers nahe.

Minamisoma ist seit Frühjahr 2012 wieder bewohnt © Kuha455405/ CC-by.sa 3.0

Rückkehr: Von wegen sicher

Brisant ist dies vor allem deshalb, weil immer mehr Menschen in ehemals evakuierte Gebiete zurückkehren. Die Stadt Minamisoma wurde bereits im Frühjahr 2012 von den japanischen Behörden wieder für bewohnbar erklärt – als eine der ersten im Umfeld von Fukushima Daiichi. Mit heute rund 63.000 Einwohnern ist inzwischen ein Großteil der Bevölkerung von Minamisoma wieder zurückgekehrt. Sie waren demnach der radioaktiven Belastung durch den in Fukushima aufgewirbelten Staub ahnungslos und ungeschützt ausgesetzt.

Und das könnte jederzeit wieder passieren: „In Fukushima wird noch viele Jahrzehnte gebaggert werden – es kann nicht sein, dass Tepco dabei jedes Mal eine derartige kontaminierte Staubwolke erzeugt“, sagt Steinhauser. Die neue Ergebnisse passen jedoch zu einer kürzlich von Greenpeace veröffentlichen Studie, nachdem auch in den für die Rückkehr freigegebene Gebieten die Radioaktivität teilweise noch gefährlich hoch ist. (Environmental Science & Technology, 2015; doi: 10.1021/acs.est.5b03155)

(Leibniz Universität Hannover, 17.12.2015 – NPO)

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