Geowissen

Geheimnis der Zen-Steine gelüftet

Forscher finden heraus, wie die auf einem Eispodest balancierenden Steine entstehen

Zen-Stein
Zen-Stein auf dem Baikalsee: Der 16 Zentimeter große Kiesel balanciert auf einen dünnen Eispodest. Aber wie kommt so etwas zustande? © Olga Zima

Mysteriöse Gebilde: Auf dem winterlichen Baikalsee kann man Steine beobachten, die auf einem dünnen Eispodest balancieren. Wie diese Kunstwerke der Natur zustande kommen, haben nun Forscher im Laborexperiment nachvollzogen. Demnach entstehen diese balancierenden Steine durch eine Einfluss des Steinschattens auf die Sublimation – den bei sehr kalten Temperaturen auftretenden Übergang von Wassereis direkt zu Wasserdampf.

Zen-Steine balancieren auf einem Eispodest oder sogar nur einem dünnen Eisstiel und ragen über die umgebende Eisfläche hinaus. Sie scheinen dadurch über dem Eis zu schweben und erinnern an sorgsam arrangierte Kunstwerke – aber ihr Schöpfer ist die Natur selbst: Die Zen-Steine entstehen dort, wo die Temperaturen längere Zeit weit unter dem Gefrierpunkt liegen und eine glatte, nicht von Schnee bedeckte Eisfläche existiert – beispielsweise auf dem winterlichen Baikalsee.

Weder Winderosion noch Schmelze

Wie aber kommen diese seltenen Gebilde zustande? Schon länger ist bekannt, dass die Zen-Steine das Ergebnis eines langsamen Abtragungs-Prozesses sind. Er beginnt damit, dass der Stein flach auf der schneefreien Eisfläche aufliegt. Allmählich wird die ihn umgebende Eisoberfläche erodiert, während das Eis unter dem Stein unverändert bleibt. Dadurch weicht die Eisfläche langsam zurück und der Stein bleibt auf einem immer dünner werdenden Podest liegen.

Aber warum? Bei ähnlichen Formationen aus Felsbrocken mit Steinstielen weiß man, dass die Winderosion diese Gebilde im Laufe der Zeit formte. Die auf manchen Gletschern beobachtbaren Tafelsteine mit Eissockel entstehen, weil das Gletschereis unter dem Stein weniger leicht schmilzt als das der Sonne ausgesetzte Eis drumherum. Lange vermutete man auch bei den Zen-Steinen einen ähnlichen Effekt. Doch sie entstehen bei sehr viel kälteren Temperaturen, was eine Eisschmelze eher unwahrscheinlich macht.

Sublimation als Urheber?

Was hinter den Zen-Steinen steckt, haben nun Nicolas Taberlet und Nicolas Plihon von der Universität im französischen Lyon herausgefunden. Ihr Verdacht: Nicht das Abtauen des umliegenden Eises hebt die Steine aus der Eisfläche hervor, sondern die Sublimation – der direkte Übergang von Wassereis zu Wasserdampf ohne den Zwischenschritt der Schmelze. Sie findet vor allem dann statt, wenn es sehr kalt und trocken ist oder der Luftdruck gering.

„Auf anderen Himmelskörpern erzeugt die Eissublimation eine breite Palette an Formen“, erklären die Forscher. Dazu gehören die lange rätselhaften „Mars-Spinnen“ auf unserem Nachbarplaneten, aber auch die riesigen Klingen aus Methaneis auf dem Pluto. Auf der Erde sind solche Sublimations-Strukturen bisher nur aus den Höhenlagen der Anden und des Himalaya bekannt. Auch dort können klingenartige Eissäulen entstehen, die sogenannten Penitentes.

Laborversuch
Zen-Stein im Labor: Eine Metallscheibe übernimmt die Rolle des Steines, eine Vakuumkammer sorgt für den Zeitraffer-Effekt. © Nicolas Taberlet / Nicolas Plihon

Zen-Steine im Labor

Eine ganz neue Art der Sublimations-Strukturen sind die Zen-Steine. Wie sie entstehen, haben Taberlet und Plihon in ihren Laborversuchen im Zeitraffer nachvollzogen. Dafür legten sie in einer Vakuumkammer kleine Metallscheiben auf eine Eisfläche, die durch den geringen Luftdruck sofort begann, zu sublimieren. Die Energie dafür lieferte die diffuse Wärmestrahlung von den wärmeren Wänden der Kammer, wie das Team erklärt. Im Laufe weniger Stunden sank das Eisniveau durch die Sublimation ab, während das Eis unter der Scheibe erhalten blieb – eine Zen-Scheibe entstand.

„Das zeigt, dass unser vereinfachter Laborversuch die Bildung der natürlichen Zen-Steine qualitativ nachvollziehen kann“, konstatieren die Forscher. Weitere Tests ergaben, dass dabei das Material des „Steins“ und seine Wärmeleitfähigkeit keine Rolle spielt – eine Aluminiumscheibe wurde genauso schnell zum Zen-Stein wie eine aus gut wärmeleitendem Kupfer. Auch eine eingekerbte Scheibe erzielte den gleichen Effekt.

Schatteneffekt und diffuse Strahlung

Aus diesen Beobachtungen und einem ergänzenden physikalischen Modell schließen die Wissenschaftler, dass der beschattende Effekt des Steins die ausschlaggebende Rolle für die verringerte Sublimation des Eispodests spielt. „Der Stein wirkt wie ein Schirm, der das Eis vor der externen Strahlung schützt“, erklären sie. Die Abschattung hält dabei vor allem die infraroten Strahlenanteile des diffusen Tageslichts ab.

Das erklärt auch, warum die Eispodeste trotz des meist schrägen Stands der Wintersonne mittig und symmetrisch unter dem Stein stehen: Weil die Zen-Steine in der Regel bei bedecktem Himmel und nicht in direkter Sonneneinstrahlung entstehen, schirmt der Stein vor allem die diffuse Himmelsstrahlung ab – und diese ist aus Richtung des Zenits am stärksten, wie Taberlet und Plihon erklären.

Das Geheimnis der Senke

Es gibt aber noch ein auffallendes Merkmal der Zen-Steine: Ihr Eispodest ist immer von einer leichten Senke im Eis umgeben. „In allen beobachteten Fällen ist diese Senke etwas größer als der Durchmesser des Steins, folgt in ihrer Form aber der Form des Steines“, berichten die Forscher. Ihrer Ansicht nach belegt dies, dass die Sublimation in der direkten Umgebung des Steins sogar ein wenig höher sein muss als auf der freien Eisfläche.

„Die zusätzliche Energie, die diese lokale Sublimation verstärkt, lässt sich auf die Schwarzkörperstrahlung vom Stein selbst zurückführen“, schreiben Taberlet und Plihon. Dieser gibt selbst bei Temperaturen von minus 20 Grad eine geringe Strahlung im ferninfraroten Bereich ab. Zwar ist diese Strahlung 100-mal geringer als die Bestrahlungsstärke des diffusen Tageslichts, wirkt sich aber dennoch auf die Sublimation der Eisoberfläche aus. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2021; doi: 10.1073/pnas.2109107118)

Quelle CNRS

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