Überraschender Fund: Durch Zufall haben Paläontologen eine ganz neue Form von Fossilien entdeckt – winzige Abdrücke auf urzeitlichen Pollen, Sporen und organischen Klümpchen. Diese „Geisterfossilien“ stammen von Kalkalgen, deren Schalen einst in diese Unterlagen eingedrückt wurden und die über Jahrmillionen als verblüffend detailreiche Abdrücke erhalten blieben. Erst diese Mikrofossilien belegen, dass die Kalkalgen selbst in den sauren Ozeanen vergangener Warmzeiten überlebten.
Mikrofossilien sind wichtige Zeugen der Vergangenheit. Die winzigen Versteinerungen können beispielsweise verraten, wann es die ersten Zellen oder eukaryotischen Algen auf unserem Planeten gab. Auch Fossilien der ersten landlebenden Lebewesen in Form von Pilzen haben Wissenschaftler schon gefunden.
Auf der Spur der Kalkalgen
Besondere Bedeutung über die Paläontologie hinaus haben dabei die fossilen Relikte von schalenbildendem Plankton wie Foraminiferen oder Coccolithophoren. Denn diese oft als Kalkalgen zusammengefassten Meeresorganismen reagieren sensibel auf Veränderungen von Temperatur und Säuregrad des Meerwassers. Ihre Fossilien erlauben daher Rückschlüsse auf das Klima der Vergangenheit und im Speziellen die Folgen prähistorischer Warmphasen.
„Normalerweise suchen Paläontologen nach den Fossilien dieser Coccolithen – und wenn sie keine finden, gehen sie meist davon aus, dass diese urzeitlichen Planktongemeinschaften kollabiert sein müssen“, erklärt Seniorautorin Vivi Vajda vom Schwedischen Museum für Naturgeschichte in Stockholm. Tatsächlich sah es bisher so aus, als wenn diese Kalkalgen in vergangenen Zeiten starker Klimaerwärmung und Meeresversauerung verschwunden waren.
Entdeckung unter dem Elektronenmikroskop
Doch ein Zufallsfund widerlegt dies nun – und enthüllt eine ganz neue Form von Mikrofossilien. Entdeckt haben dies Vajda, Erstautor Sam Slater und ihre Kollegen, als sie 183 Millionen Jahre alte Gesteinsproben aus Deutschland, Großbritannien, Neuseeland und Japan auf Pollen und andere organische Materie hin untersuchen wollten. Dafür behandelten sie die Proben zunächst mit Säure, die kalkhaltige Minerale löst und so die organischen Relikte besser sichtbar macht.
Als die Forschenden daraufhin ihre Proben unter dem Elektronenmikroskop untersuchten, bemerkten sie Überraschendes: Auf der Oberfläche der winzigen Pollen, Sporen und organischen Klümpchen waren Abdrücke noch kleinerer Strukturen zu erkennen – der Schalen von Kalkalgen. Obwohl die Fossilien dieser Organismen schon lange zerstört waren, hatten sich die Schalenabdrücke über Jahrmillionen erhalten. „Die Entdeckung dieser ‚Geisterfossilien‘ war völlig unerwartet!“, sagt Slater.
Selbst die Details sind perfekt erhalten
Fast ebenso überraschend ist die detailreiche Konservierung dieser fossilen Abdrücke: „Die Geisterfossilien sind extrem klein – mit fünf Mikrometern Größe sind sie 15-mal dünner als ein menschliches Haar“, sagt Koautor Paul Bown vom University College London. „Aber die Details der ursprünglichen Schalenplatten sind noch perfekt sichtbar.“ Man könne anhand der Rippen, Bögen und Nähte sogar die Art der Coccolithophoren bestimmen.
Um herauszufinden, ob es sich bei diesen Geisterfossilien um ein Phänomen handelt, das nur in einer kurzen Zeit der Erdgeschichte und an bestimmten Orten auftrat, untersuchten die Wissenschaftler als nächstes auch Gesteinsproben aus anderen Erdzeitaltern, darunter der frühen und mittleren Kreidezeit. Auch dort wurden sie fündig. „Wir haben Abdruck-Fossilien während beider kreidezeitlichen Warmzeiten gefunden“, berichtet das Team. „Das demonstriert, dass diese Nanofossil-Konservierung nicht allein auf das Toarcium im frühen Jura beschränkt ist.“
Rezept: Schlamm, Druck und saures Porenwasser
Wie aber kam es zur Entstehung dieser ungewöhnlichen Fossilabdrücke? Als die Kalkalgen vor Millionen von Jahren starben und zum Meeresgrund absanken, wurden sie gemeinsam mit anderen Organismenresten allmählich von Sediment überdeckt. Dort, wo beispielsweise Kalkalgenreste dicht neben Pollen oder Kotklumpen lagen, wurden sie durch den steigenden Druck im Untergrund aneinander gepresst. Dadurch drückten sich die harten Kalkschalen der Coccolithophoren in die weicheren Oberflächen ihrer Nachbarrelikte ein.
Wie das Team feststellte, häufen sich die Geisterfossilien in Gesteinsschichten, die einst aus feinen, schlammigem, reich mit organischen Material versetzten Sedimenten entstanden. „Das deutet darauf hin, dass das organische Material eine wichtige Voraussetzung war, erst dieses bot das verformbare Substrat, in das sich die Abdrücke einprägten“, erklären Slater und seine Kollegen. „Gleichzeitig erklärt dies auch, warum der Kalk der Schalen anschließend aufgelöst wurde: Hohe Gehalte organischen Materials können das Porenwasser bei der Diagenese sauer machen.“
Kalkalgen überstanden selbst Warmphasen
Nach Ansicht der Forschenden enthüllen die Mikroabdrücke nicht nur eine neue Form der Fossilbildung, sie liefern auch ganz neue Einblicke in die Erd- und Klimageschichte. „Es wurde schnell klar, dass die Abdrücke der Kalkalgen auch in den Zeitperioden häufig waren, in denen die normalen Coccolithophoren-Fossilien selten oder abwesend waren – das war eine totale Überraschung!“, sagt Slater. „Die Geisterfossilien zeigen, dass die gängigen Fossilbestände uns manchmal austricksen und dass es noch andere Wege gibt, durch die das kalkhaltige Nannoplankton konserviert werden kann.“
Entgegen gängiger Annahme brachen die Kalkalgen-Populationen demnach während der urzeitlichen Warmphasen in Jura und Kreidezeit keineswegs ein. Stattdessen gediehen die Kalkflagellaten trotz Erwärmung und Versauerung der damaligen Meere offenbar weiterhin. „Die von uns entdeckten Abdrücke demonstrieren die Resilienz dieser Nannoplankton-Gemeinschaften während mehrerer vergangener Warmphasen“, konstatieren Slater und sein Team.
Das könnte bedeuten, dass sich Kalkalgen besser an Veränderungen der Meeresbedingungen anpassen können als angenommen – das gilt möglicherweise auch im aktuellen Klimawandel. „Diese Fossilien überschreiben unser Verständnis darüber, wie kalkhaltiges Nannoplankton auf Erwärmungs-Ereignisse reagiert“, sagt Koautor Richard Twitchett vom Natural History Museum in London. (Science, 2022; doi: 10.1126/science.abm7330)
Quelle: University College London