ISIS – das ist nicht nur der Name einer altägyptischen Göttin, ISIS ist auch eine Abkürzung für Integriertes Seismisches Imaging System. Dabei handelt es sich um ein neues Frühwarnsystem für den Tunnelbau, das gefährliche Störzonen im Fels rund um die Bohrmaschine erkennen soll, während sie sich ins Gestein hineinfrisst. Stolleneinstürze oder Wassereinbrüche, die viel Zeit kosten und eine Gefahr für Mensch und Maschine darstellen, könnten dadurch schon bald der Vergangenheit angehören. Entwickelt wurden diese Tunnelbohrer mit Weitblick von Wissenschaftlern des GeoForschungsZentrums in Potsdam (GFZ).
Gotthard-Basistunnel: ISIS im Einsatz
Schauplatz Zentralalpen, genauer gesagt das St. Gotthard-Massiv. Was auf den ersten Blick wie ein hartes, einheitliches Gebirge wirkt, ist in Wirklichkeit eine Mischung aus Falten, Brüchen, Wassereinlagerungen, butterweichem Gestein und massivem Fels. Gerade hier entsteht jedoch zurzeit der größte Eisenbahntunnel der Welt. Zwei einspurige Röhren mit jeweils 57 Kilometern Länge werden bis zum Jahr 2014 in den Felsen gebohrt und gesprengt. Sie sollen nach ihrer Fertigstellung zu einer schnellen und reibungslosen Alpenquerung beitragen.
„Weiter zu sehen als der Tunnel reicht“ ist aufgrund der brisanten geologischen Situation am Gotthard vielleicht noch wichtiger als anderswo. Seit März 2000 sind deshalb auch die Felsmechaniker um Professor Günter Borm und Dr. Rüdiger Giese vom GFZ beim Projekt der Superlative vor Ort – und natürlich ISIS. Im 2.600 Meter langen Zugangsstollen Faido des Gotthard-Basistunnels und im 5.000 messenden Sondierstollen Piora haben die Forscher seitdem mit dem Integrierten Seismischen Imaging System experimentiert und Daten gesammelt.
Künstliche Wellen durchleuchten den Fels
Wie aber funktioniert ISIS? Das seismische Verfahren ähnelt dem Ultraschallverfahren in der Medizin, nur dass ISIS nicht nach Nierensteinen oder Schilddrüsenerkrankungen sucht, sondern nach kritischen Zonen oder weichen Stellen im Fels. Besondere Schlaghämmer oder Vibratoren produzieren dabei die Wellen mit denen der Berg „durchleuchtet“ wird. Sie sind nach Möglichkeit direkt an der Bohrmaschine selbst befestigt und schicken in einem bestimmten Rhythmus Signale mit gleicher Stärke durch das Gestein. Je nachdem auf welches „Material“ die Wellen unterwegs treffen, werden sie reflektiert, gebeugt oder abgemildert.
Besondere „Ohren im Fels“ fangen die modifizierten Signale später wieder auf. Diese hochsensiblen Empfänger, so genannte Geophone, werden zusammen mit den Ankern, die die Stabilität des unterirdischen Bauwerkes sichern, an vielen Stellen in die Tunnelwand eingebaut. So entsteht ein System von leistungsfähigen „Antennen“, das während der Messphasen unaufhörlich Echos sammelt und aufzeichnet.
Die auf diese Weise gemessenen Daten werden in eigens dafür entwickelte Computergramme eingelesen und dort ausgewertet. In den entstehenden dreidimensionalen Abbildungen sind weiches Gestein oder andere Störungszonen auf dem geplanten Trassenverlauf von hartem Fels deutlich zu unterscheiden. Noch vor Ort und beinahe in „real time“ können die Geowissenschaftler die Ingenieure anhand der 3-D-Visualisierungen vor drohenden Gefahren warnen und notfalls die Bohrarbeiten stoppen lassen.
Erste Ergebnisse
Soweit die Theorie und auch in der Praxis gibt es bereits erste Erfolge zu melden. So konnten die GFZ-Forscher am Gotthard mit ISIS bereits helfen, Licht in das Dunkel der Pioramulde, einer der wichtigsten geologischen Schlüsselstellen des Basistunnelbaus zu bringen. Für die Geologen war diese Störungszone im Vorfeld des Baus ein Buch mit sieben Siegeln, über das sie kaum sichere Informationen besaßen. Nach dem Bau von Sondierungsschächten, diversen Schrägbohrungen Bohrkernuntersuchungen und nicht zuletzt den ISIS-Experimenten, konnten die Ingenieure einigermaßen aufatmen:
Wie die geologischen Kartierungen ergaben, dominiert in dem Gebiet festes Gestein und auch die natürlichen Felswasservorkommen halten sich in erträglichem Rahmen. Größere Bedenken hinsichtlich des Tunnelbaus bestehen demnach nicht mehr. Ständige begleitende Messungen während der Bauphase sollen ein Zusätzliches an Sicherheit bringen.
Doch die Wissenschaftler des GFZ sind am Gotthard noch längst nicht am Ziel ihrer Arbeit angekommen. In den nächsten Jahren wollen sie dort mit ISIS mehr Erfahrungen sammeln und dabei das System so weiter entwickeln, dass es vielleicht irgendwann an (fast) jeder Tunnelbaustelle eingesetzt werden kann…
(GEOTECHNOLOGIEN, 18.03.2004 – DLO)