Die Suche nach neuen Methoden, mit deren Hilfe das Schwerefeld der Erde noch genauer und schneller vermessen werden kann, ist in vollem Gange. Eine wahre Revolution auf diesem Gebiet könnte sich schon bald buchstäblich über unseren Köpfen ereignen. Dann nämlich, wenn Anfang 2006 der Satellit GOCE (Gravity Field and Steady-State Ocean Circulation Explorer) in die Erdumlaufbahn startet.
Die dank GOCE erreichte, weit verbesserte Genauigkeit in der Erdschwerefeldmessung könnte zukünftig eine Reihe wertvoller Daten für Geophysik, Geodäsie und Ozeanographie sowie für die Erforschung der kontinentalen Eismassen und der Meeresspiegelveränderungen liefern. Im Rahmen des internationalen Projektes unter Leitung der ESA arbeiten auch deutsche Forscher, gefördert durch das F&E Programm GEOTECHNOLOGIEN, an den Vorbereitungen für diese Mission mit.
In drei Richtungen zugleich
Der Satellit wird das Erdschwerefeld mithilfe einer völlig neuen Technologie erfassen, der so genannten differenzialen Beschleunigungsmessung oder Gravitationsgradiometrie. Zum ersten Mal soll es damit möglich sein, die Gradienten der Erdanziehungskraft in allen Richtungen gleichzeitig zu messen – und das auch noch mit bisher nie erreichter Genauigkeit und räumlicher Auflösung. Ziel des Projektes ist es immerhin, noch Schwerkraftanomalien geringer als 10-5 Meter /Sekunde aufzuspüren und dies bei einer räumlichen Auflösung von bis zu 70 Kilometern. Die genauesten Messungen durch die Satelliten der GRACE-Mission erreichen bislang nur eine räumliche Auflösung von etwa 300 Kilometern.
Kern der Messmethode ist ein so genanntes 3-Achsen-Schweregradiometer – ein Messgerät, in dem jeweils zwei hochempfindliche Beschleunigungsmesser auf jeder der drei Raumachsen angeordnet sind. Sie registrieren winzigste Veränderungen in der Beschleunigung der Testmasse im Satelliten – Veränderungen, wie sie durch Schwerkraftanomalien der Erde entstehen. Durch die gleichzeitige Messung in drei Richtungen können Störfaktoren wie die Beschleunigungen durch Lageveränderungen des Satelliten oder Schub der Antriebsdüsen besser identifiziert und kompensiert werden.
Die genaue Position des Satelliten – unabdingbare Voraussetzung für solche Messungen – ermittelt und kontrolliert GOCE ständig mittels Satellite-to-Satellite Tracking: Spezielle Empfänger an Bord des Satelliten stehen dabei ständig in Verbindung zu Referenzsatelliten des GPS- oder GLONASS-Navigationssystems und ermitteln daraus die eigene Lage im Orbit.
Absolut symmetrisch
Um mögliche verfälschende oder die Genauigkeit vermindernde Einflüsse weiter zu minimieren, musste auch der Satellit nach ganz bestimmten Kriterien entworfen werden. So ist er beispielsweise absolut symmetrisch, um externen Störfaktoren keine Angriffsfläche zu bieten. Um Erschütterungen durch Bewegungen an Bord zu vermeiden, wird GOCE zudem keinerlei ausfahrbare Anhänge oder Ähnliches besitzen, selbst die fünf Quadratmeter großen Sonnensegel sind fest montiert. Die Antriebs- und Steuerungsdüsen des Satelliten sind so konzipiert, dass kein herumschwappender Flüssigtreibstoff die Beschleunigungsmessungen beeinflussen kann: Als Treibstoff dient Gas und ein Ionenantrieb.
Fast im freien Fall
Auch die Umlaufbahn des GOCE-Satelliten steht ganz im Dienste seines Forschungsauftrags: Um die größtmögliche räumliche Auflösung zu erzielen, umkreist er die Erde in nur 250 Kilometern Höhe, nach Satellitenmaßstäben eine extrem niedrige Bahn. Denn in dieser Höhe macht sich schon der Widerstand der Atmosphäre bemerkbar, so dass ein ausgeklügeltes Steuerungssystem diese Einflüsse mithilfe der Ionenantriebsdüsen ausgleichen muss. Die Vorteile dieser „Kompromisslösung“: Der Orbit des Satelliten entspricht so einem fast perfekten freien Fall ohne Reibung, so dass keine zusätzlichen, die Messungen störenden Beschleunigungskräfte einwirken. Und dies wiederum ist die Voraussetzung dafür, dass die Beschleunigungssensoren des Gradiometers extrem empfindlich eingestellt werden können.
GOCE-GRAND: Auswertungsmodelle gesucht
Während für den Satelliten die heiße Phase erst so langsam anläuft – im Mai 2002 hat offiziell die Konstruktion, unter anderem bei Astrium in Friedrichshafen und Alenia in Italien, begonnen – arbeiten deutsche Forscher, zusammengeschlossen im Verbund GOCE-GRAND (GOCE-GRavitationsfeldANalyse Deutschland), schon an Modellen, um die vom Satelliten gesammelten Daten später auch adäquat auswerten zu können.
Nach heutigen Schätzungen wird die Menge an Messdaten die Kapazität heutiger Rechner und Auswertungsalgorithmen deutlich übersteigen. Allein die Messdaten eines Tages würden, jeweils in quadratzentimetergroße Kästchen geschrieben, eine Fläche von 600 Quadratmetern bedecken – genug, um damit einen 15 Meter breiten Streifen einmal rund um den Globus zu pflastern. Mit herkömmlichen Verfahren würde die Berechnung der Satellitenbahnen deshalb Wochen dauern.
Daher konzentriert sich die derzeitige Arbeit der Wissenschaftler im Vorfeld der Mission auf die Entwicklung und Anpassung von Programmen und speziellen Verfahren, um eine möglichst schnelle Verarbeitung der Messsignale zu ermöglichen. So entwickeln beispielsweise Wissenschaftler des Instituts für Erdmessung der Universität Hannover, aber auch vom Institut für theoretische Geodäsie der Universität Bonn und andere Arbeitsgruppen Strategien, um mögliche Fehler in den GOCE-Daten zu identifizieren und herausrechnen zu können.
(GOCE-Projektbüro Deutschland, ESA-GOCE, IfE Uni Hannover; DLR, GRACE/GFZ, 15.09.2003 – NPO)