In den Tiefen des Meeresgrunds entstehen immer wieder große Mengen des Treibhausgases Methan – unter anderem durch Freisetzung aus Gashydraten. Doch nur sehr wenig davon gelangt in die Atmosphäre, der weitaus größte Teil verschwindet noch innerhalb des Sediments. Doch wie und wohin? Eine Lösung für dieses Rätsel haben Wissenschaftler 30 Jahren lang gesucht – und vor kurzem gefunden.
Schon seit längerem hatten Forscher bestimmte Mikroorganismen im Verdacht, sich als „Methanfresser“ zu betätigen. Doch die meisten methanoxidierenden Bakterien brauchen Sauerstoff, um das Treibhausgas abzubauen. Die tiefen Sedimente aber, in denen das meiste Methan verschwindet, sind so gut wie sauerstoffrei.
„Wer frisst das Methan in anaeroben Sedimenten?“
Die erste entscheidende Entdeckung gelang im Jahr 2000 der Biogeochemikerin Antje Boetius und ihren Kollegen vom Max-Planck-Institut für marine Mikrobiologie in Bremen während einer Expedition mit dem Forschungsschiff SONNE zum Kontinentalhang vor Oregon (USA). Sie fanden in Sedimentproben zu Klumpen zusammengeballte Mikrobengesellschaften, die erstaunlicherweise aus zwei ganz unterschiedlichen Bakteriensorten bestanden.
Im Inneren der Klumpen dominierten die Archaea, die zu den ursprünglichsten Formen des Lebens auf der Erde gehören. Ihre Zellklumpen wiederum waren stets von sulfatreduzierenden Bakterien umwuchert. Offenbar versetzte die enge Symbiose beide Bakterienarten in die Lage, gemeinsam aus dem Umsatz von Methan mit Sulfat Energie zu gewinnen. Wie die Mikroben dies jedoch bewerkstelligten und welchen Arten sie genau angehörten konnten die Forscher zu diesem Zeitpunkt noch nicht aufschlüsseln.
Riesenriffe aus Bakterien
Das bislang fehlende Puzzlestück entdeckten Wissenschaftler der Universitäten Hamburg und Göttingen und des Bremer Max-Planck-Instituts für marine Mikrobiologie knapp zwei Jahre später, im Sommer 2002, in Küstengewässern des Schwarzen Meers: Riesige, bis zu vier Meter hohe Riffe mit Matten aus Mikroorganismen, die sich wahrscheinlich ausschließlich von Methan ernähren. Die Matten bestanden hauptsächlich aus extrem dichtgepackt lebenden Archaea und Sulfat reduzierenden Bakterien, die in Symbiose poröse Stütz-Strukturen aus Calciumcarbonat sowie beträchtliche Mengen an Biomasse produzieren. Freiwerdendes Bicarbonat verbindet sich dabei mit Calcium aus dem Meerwasser zu Kalk und bildet die bis zu vier Meter hohen Schlote aus, auf denen die Bakterienmatten sitzen.
Das ungelöste Rätsel um die Identität der Mikroorganismen knackten dann schließlich Katrin Knittel und Armin Gieseke vom Max Planck-Institut für marine Mikrobiologie: Wie sich herausstellte, waren die Riffe bildenden Mikroorganismen im Schwarzen Meer Verwandte der bereits zuvor entdeckten kleinen Zellklumpen aus Archaea und Bakterien.
Mit einer direkten Färbung der Zellen durch spezifische Gen-Sonden konnten die Forscher zeigen, dass Mikrokolonien von methanfressenden Archaea und Sulfat reduzierenden Bakterien dichte Matten bilden, die von kleinen Adern durchzogen sind. Diese winzigen Kanäle unterstützen vermutlich den Austausch der Nährstoffe und Stoffwechselprodukte und münden in größere Höhlen und Freiräume im kalkigen Inneren der Riffstrukturen. Auch die Schwarzmeer-Bewohner sind in der Lage, große Mengen von Methan mit Sulfat umzusetzen und als Kohlenstoffquelle für ihr Wachstum zu nutzen.
Methanfresser als irdische Ureinwohner?
Doch das war der Sensationen noch nicht genug: Die Entdeckung der Bakterienriffe sorgte auch unter Evolutionsforschern für Aufregung: Die Riffe sind der erste lebende Beweis dafür, dass organische Materie im Geosystem der Erde auch ohne Sauerstoff und pflanzliche Biomasse – auf chemosynthetischem Wege – entsteht und sich ablagert. Methan könnte, so die Schlussfolgerung der Forscher, in der Frühgeschichte der Erde vor einigen Milliarden Jahren eine wichtige Rolle als Nährstoff und Energieträger gespielt haben.
Die AWI-Wissenschaftlerin Prof. Antje Boetius vermutet deshalb: „Vielleicht waren die Ureinwohner der Erde während einer langen Periode der Erdgeschichte solche Mikroorganismen, wie wir sie im Schwarzen Meer gefunden haben: eine Symbiose von Zellen, die ohne Sauerstoff mit Methan als Nährstoff wachsen können.“ Diese Mikroorganismen wären dann das fehlende Glied in der Kette eines erdgeschichtlich sehr frühen Methankreislaufs.
Weiter mit „REGX“ und „MUMM“
Um die Fähigkeiten und genetischen Besonderheiten der Mikroorganismen zu verstehen, die das Gas im Meer fressen und damit Riffe bilden, untersucht derzeit ein Projekt des Max-Plack-Instituts in einem der drei Genomik-Kompetenznetze das Erbgut der methanfressenden Archaea (REGX). Antje Boetius und ihre Kollegen sind dabei, im Rahmen des Projektes MUMM – das hier keineswegs für eine Sektmarke steht sondern für den Titel „Methan in Marinen Gashydrathaltigen Sedimenten – Umsatzraten und Mikroorganismen“ – noch mehr über die geheimnisvollen „Methanfresser“, ihre Lebensweise und weitere ähnliche Symbiosen in methanhaltigen Sedimenten in Erfahrung zu bringen. Gefördert werden diese und andere Forschungsprojekte zum globalen Methankreislauf im Rahmen des aktuellen BMBF- und DFG-Schwerpunktprogramms GEOTECHNOLOGIEN „Gashydrate im System Erde“.
(Max-Planck-Institut für marine Mikrobiologie, Bremen; MUMM, 01.09.2003 – NPO)