Ist es nun gefärbt oder nicht, das Haupthaar unseres Ex-Kanzlers? Die "H-Frage" werden die Forscher wohl nicht zu beantworten wissen, die sich vom 4. bis 6. Oktober an der Universität Bonn treffen. Auf ihrer Tagung dreht sich alles um die Kommunikation der Gerüchte. Im Zentrum steht die Frage, ob sich die Nachrichten vom Hörensagen von der angeblich "normalen" Kommunikation immer trennscharf unterscheiden lassen.
Zu den besonders erfolgversprechenden Zutaten eines deftigen Gerüchts gehört seit jeher eine Prise Sex. Das dokumentiert schon die Herkunft des Wortes "klatschen": Klatschweiber waren Wäscherinnen. Ihr Name rührt her von der damals üblichen Reinigungstechnik, bei der die nasse Wäsche gegen Steine geschlagen wurde, um das Gewebe möglichst gut durchzuwalken. Die Waschweiber bemerkten bei ihrer Tätigkeit hin und wieder verräterische Flecken auf den Laken. Sie erhielten so einen Einblick in das Geschlechtsleben ihrer Auftraggeber, den sie gerne mit anderen teilten.
Gerüchte sorgen dafür, dass sich Neuigkeiten schnell verbreiten, versehen sie aber gleichzeitig mit dem Etikett "Achtung, kann auch falsch sein". Charakteristisch ist die Berufung aufs Kollektiv: "die Leute sagen", "man hört doch überall". Dadurch kann jeder ungeniert klatschen, ohne die Verantwortung für die Folgen tragen zu müssen. Und die können immens sein: Börsengerüchte können über Wohl und Wehe ganzer Firmen entscheiden, Verleumdungen den Ruf unbescholtener Menschen zerstören. Auf der Tagung spüren Wissenschaftler ganz unterschiedlicher Disziplinen der besonderen Dynamik von Gerüchten nach. Darunter sind neben Medienwissenschaftlern und Germanisten beispielsweise auch Ökonomen und Journalisten. Organisatoren sind das Institut für Germanistik sowie das Zentrum für Kulturwissenschaft der Universität Bonn.
Dementis helfen wenig
Vor Entstehung der Massenmedien verbreiteten sich Gerüchte vor allem per Mundpropaganda. Daher auch die mythologische Gestalt der Fama, von der Vergil sagt, sie sei das schnellste aller Übel und habe tausende Ohren, Zungen und Augen. "Fama ist so wirksam, dass man dahinter in der Antike einen göttlichen Einfluss vermutete", erklärt die Bonner Germanistin Dr. Hedwig Pompe. Bildlich wurde Fama meist als eine Gestalt mit Flügeln und einer Posaune dargestellt. Dank Internet und Massenmedien verbreiten sich Gerüchte heute schneller denn je. Und das, obwohl gerade die Presse den Anspruch hat, nur verifizierte Fakten zu liefern. "Journalisten zitieren dann beispielsweise die 'gewöhnlich gut unterrichteten Kreise'", sagt Pompe. Ist ein Gerücht erst einmal in der Welt, helfen die schärfsten Dementis wenig. Das musste auch Ex-Kanzler Gerhard Schröder feststellen.
Hochkonjunktur in Krisenzeiten
In Krisenzeiten schlägt die große Stunde des Gerüchts. "Eine Tatsache, die gerade Kriegspropaganda so wirksam macht", betont Pompes Kollegin Dr. Brigitte Weingart. Im Zweiten Weltkrieg entstanden in den USA "rumour clinics", die gegen Feindespropaganda "immunisieren" sollten – "interessant schon allein wegen der Terminologie", sagt Weingart. Es gibt aber tatsächlich Parallelen zwischen ansteckenden Krankheiten und Gerüchten: "Epidemiologen simulieren die Ausbreitung einer Seuche zum Teil mit denselben Modellen wie Kommunikationsforscher, die den Verlauf eines Gerüchts nachvollziehen möchten."
Gerüchte sind für die Forschung schwer zu fassen. Doch über eines ist sich die Wissenschaft heute sicher: Wenn die Gerüchteküche besonders stark brodelt, steckt eine tief sitzende Missstimmung oder Spannung dahinter. Man dürfe aber nicht den Fehler machen, aus dem Inhalt der Gerüchte zu folgern, was genau im Moment schief laufe. Dem viel beschworenen wahren Kern des Gerüchts, wenn es denn einen solchen tatsächlich gibt, kommt man nur dann auf die Spur, wenn man es als Zerrbild liest.
(Universität Bonn, 25.09.2006 – NPO)