Forscher haben unter dem Eis der Antarktis ein bisher unbekanntes, mehr als 2.500 Kilometer langes Verwerfungssystem entdeckt. Dieser bisher unbekannte Grabenbruch in der Kruste der Erde erstreckt sich von der Ostantarktis bis nach Indien. Diese Entdeckung löst eines der größten Rätsel der Antarktis: die Entstehung des unter dem Eis verborgenen Gamburtsew-Gebirges. Das berichtet das internationale Forscherteam im Fachmagazin „Nature“.
„Das Gamburtsew-Gebirge ist das am wenigsten verstandene tektonische Phänomen der Erde, sagen Fausto Ferraccioli vom British Antarctic Survey und seine Kollegen. Geologisch gesehen sei es ein echtes Paradox: Einerseits gleiche es mit seinen hoch aufragenden, zerklüfteten Gipfeln den Alpen und damit einem jungen Gebirge. Andererseits aber liege es inmitten einer der ältesten Landmassen der Erde, der Ostantarktis.
Das neu entdeckte Grabensystem liefere nun das fehlende Puzzlestück, mit dem sich die Entstehung des Gamburtsew-Gebirges erklären lasse, sagen die Forscher. Denn entlang dieses Bruches verschob sich vor 250 Millionen Jahren und noch einmal vor 100 Millionen Jahren der Untergrund. Diese Bewegungen drückten Teile älterer Erdkruste nach oben und türmten das Gamburtsew-Gebirge auf.
Gebirgsbildung als Reihe von Prozessen
Anschließend gruben sich Flüsse und Gletscher tief in das Gebirge ein und hinterließen die zerklüfteten Täler und Schluchten. Erst vor 34 Millionen Jahren überdeckte das Eis das Gebirge und konservierte es seither in seinem damaligen Zustand.
„Wir waren bisher daran gewöhnt, Gebirgsbildung immer als ein punktuelles tektonisches Ereignis zu sehen, nicht als eine Reihe von Prozessen“, sagt Robin Bell, Koautor von der Columbia University in New York City. Das Gamburtsew-Gebirge habe nun gezeigt, dass diese Sicht falsch sei. Möglicherweise müsse nun auch die geologische Geschichte anderer Gebirgsketten neu betrachtet werden.
Kartierung der Gebirgsgeologie mittels Messflugzeugen
Aufschluss über die Geologie des Gamburtsew-Gebirges und der neuentdeckten Bruchzone gaben Daten, die mehrere Forschergruppen im Rahmen des Projekts Antarctica’s Gamburtsev Province (AGAP) im Jahr 2009 gesammelt hatten. Die Wissenschaftler hatten das Gebiet mittels Radarmessungen von Bord eines Forschungsflugzeugs aus kartiert und das Magnet- und Schwerefeld der Erde an dieser Stelle vermessen.
Die Messdaten enthüllten, dass die neu entdeckte Bruchzone in Ausdehnung und Form dem Großen Afrikanischen Grabenbruch in Ostafrika ähnelt. Diese Bruchzone erstreckt sich von Syrien im Norden bis nach Mosambik im Süden und markiert ein Gebiet, in dem zwei Erdplatten allmählich auseinander weichen.
Seen unter dem Eis identifiziert
Mit Hilfe der neuen Daten identifizierten die Forscher auch mehrere Seen, die im Bereich der ostantarktischen Bruchzone unter dem antarktischen Eis liegen. „Diese Seen sind die größten untereisischen Seen der Antarktis und ähneln den Seen entlang des Grabenbruchs in Ostafrika“, schreiben die Wissenschaftler. (Nature, 2011; doi:10.1038/nature10566)
(Nature / dapd, 17.11.2011 – NPO)