1875 wurden in der Braunkohlegrube Messel bei Darmstadt Überreste eines vorzeitlichen Krokodils gefunden; bis heute kamen zahlreiche gut erhaltene Fossilien hinzu. Schon lange rätseln Paläontologen, was der Grund für das Massensterben gewesen sein könnte. Wissenschaftler der Universität Bonn haben dazu jetzt eine neue Theorie vorgelegt: Todesursache der Tiere sei demnach vielleicht eine Vergiftung durch Cyanobakterien gewesen.
Die Fossillagerstätte Messel bei Darmstadt gehört zum Weltkulturerbe; sie ist wegen der dort entdeckten hervorragend erhaltenen Fossilien von Tieren und Pflanzen aus einer tropischen Landschaft vor etwa 47 Millionen Jahren weltweit bekannt. Nirgendwo sonst sind so viele Fledermäuse und Vögel in einer Seeablagerung gefunden worden. Bei den Säugetieren ist in der Regel sogar der Mageninhalt überliefert. Wie kamen diese Tiere aber zu Tode? Die wohlgefüllten Mägen sind nicht gerade ein Hinweis auf Krankheiten oder todbringende Schwäche. Bislang vermutete man unter anderem Gase aus vulkanischer Herkunft als Ursache, die über dem See gelegen haben könnten. In denen hätten die Tiere dann ersticken können. Aber derartige Gaswolken – wenn es sie gegeben hätte – dürften sich bei der Größe des Sees schnell aufgelöst haben. Es ist auch völlig offen, ob der vulkanische Untergrund, der den Maarsee von Messel formte, überhaupt noch nach Hunderttausenden von Jahren Gase hat austreten lassen.
Die Paläontologen der Universität Bonn um Professor Wighart von Koenigswald haben in der jüngsten Ausgabe der „Paläontologischen Zeitschrift“ ein neues Modell vorgelegt, das Licht auf die mögliche Todesursache der Tiere wirft. Bei Sichtung der Fossilien erkannten die Wissenschaftler ein saisonal gebundenes Signal für den Todeszeitpunkt. Die fünf trächtigen Stuten, die in ganz verschiedenen Schichten des Messeler Ölschiefers gefunden wurden, starben alle zur gleichen Jahreszeit, denn die Föten waren gleich weit entwickelt. Bei den Schildkröten fanden sich ebenfalls fünf Pärchen, die offensichtlich während der Kopulation, also auch zu einer bestimmten Jahreszeit, umgekommen sind.
Ein weiteres Puzzleteilchen lieferte die Beobachtung des Bonner Privatdozenten Andreas Braun, nach der sich in den Sedimentstrukturen von Messel Kalklagen abzeichnen. Eine ganz ähnliche Struktur zeigen Seeablagerungen, die Professor von Koenigswalds Doktorandin Thekla Pfeiffer in Neumark-Nord gefunden hat. Sie konnte in den etwa 200.000 Jahre alten Ablagerungen Spuren des hochgiftigen Mikrozystins nachweisen – eines Gifts, das von Cyanobakterien produziert wird. Die Forscher nehmen an, dass auch die Sedimentstrukturen in Messel durch die auch „Blaualgen“ genannten Mikroben verursacht wurden. Die Tiere könnten also einer Mikrozystin-Vergiftung nach einer jahreszeitlich bedingten Algenblüte giftiger Cyanobakterien zum Opfer gefallen sein.
Aus Kanada ist bekannt, dass bei Algenblüten Cyanobakterien im Oberflächenwasser einen giftigen Schaum entstehen lassen. Wer dieses Wasser trinkt, bricht fast augenblicklich zusammen. Das gilt für Landtiere ebenso wie für Vögel. Beobachtungen zeigen, dass selbst die Wassermengen tödlich sein können, die Fledermäuse aufnehmen, wenn sie im Flug von der Wasseroberfläche nippen. Mit den an bestimmte Jahreszeiten gebundenen Blüten von hochgiftigen Cyanobakterien, die im Laufe der Jahre immer wieder aufgetreten sind, lassen sich viele Besonderheiten in der Fossilüberlieferung von Messel erklären, die bislang unverstanden waren. Das Modell muss durch weitere Untersuchungen überprüft werden. Eine Schwierigkeit zeigt sich allerdings bereits jetzt: Die Giftstoffe dürften sich nach 47 Millionen Jahren kaum mehr direkt nachweisen lassen.
(Universität Bonn, 17.11.2004 – DLO)