Die Erdbebengefahr einer Region wird nicht nur durch Geschehnisse im Untergrund, sondern auch durch klima-bedingte Änderungen an der Erdoberfläche wie beispielsweise Wachstum oder Rückzug von Gletschern oder Seen beeinflusst. Wie eine neue jetzt in Nature veröffentlichte Studie zeigt, können diese zu Variationen in den Bewegungsraten von geologischen Störungen führen.
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Die Abschätzung der Erdbeben-Gefährdung durch große Störungen basiert auf der Ermittlung der Häufigkeit und Stärke vergangener Erdbeben anhand geologischer und paläoseismologischer Daten. Daten dieser Art zeigen, dass Grenzflächen, an denen sich benachbarte Bereiche der Erdkruste relativ zueinander bewegen, über Zeiträume von 100 bis 10.000 Jahren erhebliche Variationen in ihren Bewegungsraten zeigen. Die Gründe für diese Variationen sind weitgehend unbekannt, ihre Erforschung ist jedoch von entscheidender Bedeutung für eine Bewertung des seismischen Gefährdungspotentials.
Die in der international angesehenen Zeitschrift „Nature“ erscheinende Studie von Prof. Dr. Ralf Hetzel vom Geologisch- Paläontologischen Institut der Universität Münster und Dr. Andrea Hampel vom Geologischen Institut der Universität Bern konnte zeigen, dass Variationen in den Bewegungsraten von Störungen eine Reaktion auf klima-kontrollierte Änderungen an der Erdoberfläche sein können. Zu solchen Änderungen an der Erdoberfläche gehören der Vorstoß und Rückzug von Gletschern und Seen. Die Belastung bzw. Entlastung der Erdkruste führt dabei zu hohen Spannungsänderungen, die das Auftreten von Erdbeben auf Störungen verzögern bzw. fördern.
Prof. Hetzel: „Die in den paläoseismologischen Daten beobachteten Phasen seismischer Ruhe mit nachfolgender verstärkter Aktivität können mit der Ausbreitung und dem anschließenden Rückzug von Gletschern und Seen zusammenhängen“. Die Modellierungen der neuen Studie zeigten, dass die Erhöhung der Bewegungsrate mit einer zeitlichen Verzögerung von bis zu 1000 Jahren nach der Entlastung der Erdkruste einsetzen und die Phase verstärkter Aktivität über 10.000 Jahre anhalten könne.
Die Rückkopplung zwischen klima-kontrollierten Prozessen an der Erdoberfläche und einer aktiven Störung ist weltweit am besten für die „Wasatch-Störung“ in den USA dokumentiert. Die Bewegungsrate dieser 400 km langen Störung, die eine ernsthafte seismische Bedrohung für das Ballungszentrum Salt Lake City, Utah, darstellt, erhöhte sich vor rund 10.000 Jahren erheblich. Während der letzten Eiszeit, die ihren Höhepunkt vor 20.000 Jahren hatte, war die Erdkruste an der Wasatch- Störung durch den Vorläufer des Grossen Salzsees, der 350 m tief und hundertmal größer als der Bodensee war, und durch Gletscher in den nahe gelegenen Bergen bedeckt. Der neuen Studie zufolge können der Zeitpunkt und die Intensität des Anstiegs der seismischen Aktivität auf der Wasatch-Störung mit der Austrocknung des Sees und dem Rückzug der Gletschern erklärt werden.
Die Ergebnisse der Studie von Hetzel und Hampel unterstreichen, dass bei der Untersuchung der Aktivität seismogener Störungen und der Bewertung des seismischen Gefährdungspotenzials der Einfluss von Gletschern und Seen, die sich nach der letzten Eiszeit zurückgezogen haben, berücksichtigt werden muss.
(Universität Münster, 09.05.2005 – NPO)