Unerwartete Nebenwirkung: Gelangt das Herbizid Glyphosat in Gewässer, kurbelt dies bei Krötenlarven die Produktion eines chemischen Abwehrstoffs an. Als Folge sind diese Kaulquappen deutlich giftiger und ungenießbarer für Fressfeinde als normal, wie Experimente enthüllen. Das Problem daran: Den Kröten selbst schadet dies offenbar nicht, wohl aber dem ökologischen Gleichgewicht in ihrem Lebensraum. So könnten beispielsweise invasive Krötenarten den heimischen Amphibien noch gefährlicher werden, warnen die Forscher.
Kaum ein anderes Spritzmittel ist momentan so heiß umstritten wie das Herbizid Glyphosat. Denn Ende 2017 muss die EU-Kommission entscheiden, ob die Zulassung dieses Unkrautvernichtungsmittels in der EU verlängert wird. Das Problem: Nach Ansicht einiger Experten, darunter der Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation WHO, ist Glyphosat wahrscheinlich krebserregend. Zwei wichtige EU-Behörden jedoch fanden keine ausreichenden Anhaltpunkte für eine solche Einstufung. Umweltschutzorganisationen kritisieren zudem, dass der flächendeckende Einsatz von Glyphosat zum Verlust der Artenvielfalt in der Agrarlandschaft beiträgt.
Jetzt haben ungarische Biologen eine weitere, völlig unerwartete Nebenwirkung des Glyphosats entdeckt. Für ihre Studie hatten sie untersucht, wie sich Larven der Erdkröte (Bufo bufo) entwickeln, wenn das Wasser mit Glyphosat verunreinigt ist. Dafür setzten sie dem Aquarienwasser das Herbizid in drei verschiedenen, für die Landwirtschaft typischen Dosierungen zu. In einem weiteren Experiment wurden mehrere künstliche Tümpel einmalig mit dem Herbizid kontaminiert.
Giftiger nach Glyphosat-Bad
Es zeigte sich: Die Krötenlarven entwickelten sich in Anwesenheit von Glyphosat weitgehend normal. Ungewöhnlich jedoch: Im Gegensatz zu den in sauberem Wasser gehaltenen Kaulquappen enthielten ihre Gewebe deutlich mehr Bufadienolide, wie die Forscher berichten. Diese Steroide werden von vielen Kröten zur Abwehr von Bakterien und Fressfeinden produziert. Sie wirken auf viele Organismen giftig.
„Die dem Glyphosat ausgesetzten Krötenlarven hatten einen signifikant höheren Bufadienolidgehalt als die Kontrolltiere“, berichten Veronika Bókony und ihre Kollegen vom Zentrum für Agrarforschung in Budapest. Dieser Effekt sei in beiden Versuchsvarianten deutlich gewesen. „Diese Wirkung war statistisch gesehen sehr groß und ökologisch relevant“, so die Forscher.
Stressreaktion oder Panne in der Entgiftung?
Warum und wie das Herbizid die Giftproduktion der Krötenlarven ankurbelt, ist bisher unklar. Eine mögliche Erklärung wäre, dass die Verunreinigung des Wassers mit Glyphosat die Kaulquappen unter erhöhten physiologischen Stress setzt. Auf diesen reagieren sie dann ähnlich wie auf die Anwesenheit von Prädatoren, Konkurrenten oder anderen Stressfaktoren, wie die Biologen erklären. Die Larven produzieren vermehrt Abwehrgift, um sich dagegen zu wappnen.
Es könnte aber auch sein, dass das Glyphosat einen internen Abbauprozess bei den Kröten hemmt. Fällt diese Entgiftung aus, dann reichern sich mehr Bufadienolide in den Geweben der Amphibien an als normal. In Versuchen mit einer anderen Krötenart haben Forscher einen hemmenden Effekt des Glyphosats auf ein für den Giftabbau wichtiges Enzym bereits nachgewiesen.
Drastische ökologische Folgen?
Für die Kaulquappen selbst scheint die Giftanreicherung nicht weiter schädlich zu sein, wie Bókony und ihre Kollegen erklären. Im Gegenteil: Weil die Bufadienolide auch antimikrobiell wirken, könnten sie die Kröten sogar besser gegen Krankheiten wie die gefürchtete Chytridiomykose schützen.
Doch für die Umgebung der Kröten könnte diese überraschende Nebenwirkung des Glyphosats verheerende Folgen haben. „Die verstärkte Giftigkeit der Kröten hat weitreichende Konsequenzen für die Nahrungsketten“, so die Forscher. Fressfeinde könnten entweder krank werden oder diese Kröten künftig komplett verschonen, was eine Verschiebung des ökologischen Gleichgewichts nach sich ziehen würde.
Verschiebung des Gleichgewichts
Dort, wo Kröten als invasive Art in neue Gebiete vorgedrungen sind, könnte dies die Bedrohung für die heimische Tierwelt noch verstärken: „In Australien haben toxische Aga-Kröteneier schon jetzt zu drastisch erhöhter Mortalität unter den Fressfeinden geführt“, berichten Bókony und ihre Kollegen. „Das Überleben einheimischer Kaulquappen ist durch das Fressen der vergifteten Eier gefährdet.“ Steigt die Giftdosis in den Eiern und Larven der Kröten an, verstärkt sich auch dieser Effekt.
„Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Belastung durch Pestizide im Allgemeinen und Glyphosat im Besonderen unerwartete Auswirkungen haben kann“, konstatieren die Wissenschaftler. „Wir drängen daher auf weitere Studien, die untersuchen, wie Pestizide die chemische Abwehr und speziell die Bufadienolide beeinflussen.“ (Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences, 2017; doi: 10.1098/rspb.2017.0493)
(Royal Society, 06.07.2017 – NPO)