Reicht die Resilienz? Das Great Barrier Reef vor Australien stand in den letzten 30.000 Jahren schon fünfmal vor dem Ende. Die Korallen konnten zwar damals den teils drastischen Veränderungen des Meeresspiegels durch Verlagerung in flachere oder tiefere Meeresgebiete ausweichen. Doch die Forscher warnen: Das Tempo des heutigen Klimawandels kombiniert mit starkem Sediment-Einstrom könnte selbst die relativ hohe Resilienz des Weltnaturerbes überfordern.
Das Great Barrier Reef vor der Ostküste Australiens ist das größte Korallenriff der Erde und ein UNESCO-Weltnaturerbe. Doch das einzigartige Naturwunder ist akut bedroht: Bereits 2012 verlor das Riff durch die Korallenbleiche, Stürme und gefräßige Seesternen fast die Hälfte seiner Korallen. Im extrem warmen Jahr 2016 dann starben sogar bis zu 90 Prozent der Korallen. Nach Einschätzung von Forschern gibt eskaum mehr Refugien im Riff, die ein Überleben des Naturerbes als Ganzem ermöglichen werden.
Fünf Mal fast tot
Doch wie erging es dem Great Barrier Reef bei vergangenen Klimawechseln? Wie resilient ist dieser aus mehr als 3.000 Einzelriffen bestehende Lebensraum? Um das herauszufinden, haben Jody Webster von der University of Sydney und ihre Kollegen an 16 Stellen entlang eines Querschnitts des Riffs Bohrkerne entnommen und untersucht. Über mikroskopische Analysen und Isotopenverhältnisse konnten sie die letzten 30.000 Jahre Riffgeschichte rekonstruieren.
Das Ergebnis: Das Great Barrier Reef war bereits fünfmal dem Ende sehr nahe – und es lag nicht immer dort, wo es heute liegt. „Die fünf Ereignisse reflektieren die Reaktion des Riffs auf große Veränderungen des globalen Klimas“, berichten die Forscher.
Tod durch Verlandung
Die beiden ersten „Nahtod-Phasen“ des Korallenriffs ereigneten sich am Beginn der letzten Eiszeit vor 30.000 und 22.000 Jahren. Damals kühlte die Erde deutlich ab und immer mehr Ozeanwasser gefror, wie die Forscher berichten. Als Folge sank der Meeresspiegel am Great Barrier Reef um bis zu 118 Meter ab. Weite Teile des Riffs fielen trocken – und die dort siedelnden Korallen starben.
Als Folge verlagerte sich das Riff weiter seewärts: Korallen in tieferen Lagen überlebten und ihre Nachkommen wanderten langsam weiter nach Osten in tiefere Meeresgebiete. „Die Riffentwicklung verlagerte sich dabei um 0,2 bis 0,5 Meter pro Jahr seewärts“, so Webster und ihre Kollegen. Weil auch der Meeresspiegelabfall eher langsam vonstattenging, gab dies zumindest einigen Korallen genügend Zeit, in tiefere Lagen auszuweichen.
Tod durch „Ertrinken“ und Sedimentschwemme
Die beiden nächsten Korallensterben am Great Barrier Reef folgten am Ende der Eiszeit vor 17.000 und 13.000 Jahren, als das Eis schmolz und die Meeresspiegel relativ schnell anstiegen. Die tiefer gelegenen Gebiete des Riffs „ertranken“ nun, weil die Flachwasserkorallen durch die steigenden Pegel zu wenig Licht bekamen. Auch eingeschwemmtes Sediment beeinträchtigte das Wachstum der Korallen, wie die Forscher berichten. Als Folge verlagerten sich die Riffreste nun wieder landeinwärts in höhere Lagen.
Besonders aufschlussreich aber ist das fünfte „Nahtod-Ereignis“ des Great Barrier-Reefs: Vor rund 10.000 Jahren starben erneut weite Teile des Riffs ab. Diesmal jedoch veränderte sich der Meeresspiegel kaum. Hauptursache des Massensterbens unter den Korallen war stattdessen ein massiver Einstrom von Sediment, wie Webster und ihre Kollegen feststellten.
Aktuelle Krise könnte das Riff überfordern
„Unsere Studie zeigt, dass sich das Riff von vergangenen Massensterben während der letzten Vereisung und Eisschmelze wieder erholen konnte“, sagt Webster. „Das Riff war gegenüber vergangenen Meeresspiegelschwankungen und Temperaturwechseln resilienter als gedacht.“ Allerdings sei dies vor allem der Tatsache zu verdanken, dass die Korallen schnell genug auf die allmählichen Veränderungen reagieren konnten und dass entsprechende Refugien vorhanden waren.
Doch die aktuelle Lage könnte die „Selbstheilungskräfte“ des Riffs deutlich überfordern, warnen die Forscher. „Angesichts der gegenwärtigen Rate des Meeresspiegelanstiegs, der rapiden Abnahme der Korallenbedeckung und der fast jährlichen Korallenbleichen, liefern unsere Funde wenig Belege dafür, dass das Great Barrier Reef in den nächsten Jahrzehnten resilient reagieren wird“, betonen sie.
Sorge bereitet den Forschern einerseits das schnelle Tempo des aktuellen Klimawandels und Meeresspiegelanstiegs. Zum anderen führen Meeresverschmutzung und Ausbaggerungen zu einem starken Sediment-Einstrom – und damit genau zu dem Faktor, auf den das Riff bereits in vergangenen Zeiten sehr sensibel reagierte. „Angesichts der aktuellen Landnutzungs-Praktiken ist dies ein Grund zur Sorge“, sagt Webster. (Nature Geoscience, 2018; doi: 10.1038/s41561-018-0127-3)
(University of Sydney, 29.05.2018 – NPO)