Klima

Grönland: Eisschmelze schon teilweise unumkehrbar

27 Zentimeter Meeresspiegelanstieg selbst bei sofortigem Stopp aller Emissionen

GRönland
Viele Eisflächen im Westen Grönlands sind schon jetzt aus dem Gleichgewicht geraten – ihre Abtauen ist schon unaufhaltsam. © Jaroslav Sugarek/ Getty images

Unaufhaltsamer Schwund: Selbst bei sofortigem Stopp aller Emissionen wird das tauende Grönlandeis die Meeresspiegel um mindestens 27 Zentimeter anheben. Denn der Eisschild Grönlands ist schon jetzt so aus dem Gleichgewicht geraten, dass 110.000 Kubikkilometer Eis unwiederbringlich abtauen werden – ungeachtet der künftigen Klimaentwicklung, wie Forscher in „Nature Climate Change“ berichten. Geht die Erwärmung weiter, könnte der Eisschild sogar zehn Prozent seines Volumens verlieren – das entspräche einem Pegelanstieg von 78 Zentimetern.

Der grönländische Eisschild ist das zweitgrößte Eisreservoir des Planeten, ist aber überproportional stark vom Klimawandel betroffen. Schon jetzt überholt der Eisverlust alle bisherigen Prognosen und beschleunigt sich stellenweise exponentiell. Im Sommer 2021 fiel auf dem kältesten, höchsten Punkt des grönländischen Eisschilds sogar zum ersten Mal Regen statt Schnee. Im Jahr 2020 lieferte eine Studie zudem erste Hinweise darauf, dass ein Teil der Eisschmelze schon nicht mehr aufzuhalten ist.

Messdaten statt Klimamodelle

Was dies konkret bedeutet, haben nun Jason Box vom Geologischen Dienst Dänemarks und Grönlands (GEUS) und seine Kollegen untersucht. Anders als viele Vorgängerstudien nutzten sie dafür keine Klimamodelle, sondern führten ihre Analysen allein auf Basis von Beobachtungsdaten durch. Weil Modelle die komplexen Wechselwirkungen zwischen Eis, Atmosphäre und Ozean bisher nur unvollständig erfassen können, sind Prognosen gerade für einige Regionen Grönlands mit großen Unsicherheiten behaftet. „Dies ist daher ein komplementärer Ansatz, um den Massenverlust zu ermitteln“, erklärt Box.

Die Forscher nutzten Messdaten und Satellitenaufnahmen aus der Zeit von 2000 bis 2019, um für 473 Unterregionen des Eisschilds den Flächenanteil der Akkumulationszone zu ermitteln. Diese Zone eines Gletschers ist selbst im Sommer so kalt, dass sie kein Eis verliert, sondern es bei winterlichem Schneefall hinzugewinnt – es ist gewissermaßen die Nachschubzone eines Gletschers. Die Größe dieser Zone verglichen mit der gesamten Gletschergröße gibt Aufschluss darüber, ob der Gletscher genügend Eis hinzugewinnt, um auf Dauer bestehen bleiben zu können.

3,3 Prozent des Eisschilds sind unrettbar verloren

Die Analysen ergaben: Das Grönlandeis ist bereits deutlich im Minus, wenn man die gesamte vergletscherte Fläche Grönlands von rund 1,78 Millionen Quadratkilometer betrachtet. Denn die Akkumulationsflächen des Eisschilds sind kleiner als sie sein dürften, wie die Forscher ermittelten. Als Folge sind 3,3 Prozent des Eisschilds schon jetzt dem Abtauen geweiht – dies entspricht einem unabwendbaren Eisverlust von 110.000 Kubikkilometer Volumen und 59.000 Quadratkilometer Fläche.

Meeresspiegel
Durch die Grönland-Eisschmelze schon jetzt feststehender Meeresspiegelanstieg – Minimalwert und wahrscheinlicher Wert. © The Geological Survey of Denmark and Greenland (GEUS)

Das jedoch bedeutet: Selbst wenn die Welt sofort alle Treibhausgas-Emissionen stoppen würde, werden diese Eismassen schmelzen. Die Meeresspiegel werden allein dadurch künftig um mindestens 27 Zentimeter ansteigen. Das wäre genug Wasser, um die gesamte Fläche der USA elf Meter hoch zu fluten. „Dies ist aber ein extrem konservativer Minimalwert“, betont Box. Denn diese 27 Zentimeter gehen von einem auf heutigem Stand eingefrorenem Klimawandel aus.

Bis zu 78 Zentimeter Meeresspiegelanstieg

„Realistischerweise müssen wir aber damit rechnen, dass sich dieser Wert mehr als verdoppelt“, sagt Box. Nimmt man beispielsweise den in Grönland besonders warmen Sommer 2012 als Maßstab für die weitere Entwicklung, würden zehn Prozent der grönländischen Eisfläche und ein Volumen von 314.000 Kubikkilometer Eis verloren gehen. Dieser dann unumkehrbare Eisverlust würde die globalen Meeresspiegel um 78 Zentimeter in die Höhe treiben.

Wann dieser Wert erreicht sein wird, geht aus den Berechnungen allerdings nicht hervor. Denn dafür bräuchte man Modelle der Eisentwicklung und des Klimas – und darauf wollten die Wissenschaftler bewusst verzichten. Ihr Ziel war es, eine von Modellen unabhängige Analyse durchzuführen. „Aber unsere Beobachtungen legen nahe, dass ein Großteil dieses nicht mehr aufhaltbaren Meeresspiegelanstiegs noch in diesem Jahrhundert stattfinden wird“, erklärt Box.

Westen Grönlands am stärksten betroffen

In allen Szenarien am stärksten betroffen sind die Gletscher im Südwesten und Westen Grönlands, weil sie tiefer liegen und dort weniger Schnee fällt. Bei ihnen ist schon heute das Ungleichgewicht zwischen Eiszugewinn und Eisverlust viermal größer als im Osten Grönlands, wie Box und seine Kollegen berichten. Sie tragen daher auch am meisten zum schon unaufhaltsamen Meeresspiegelanstieg bei.

Demgegenüber ist das Eis im zentralen Osten Grönlands bisher noch in Gleichgewicht und trägt noch nicht zur Eisschmelze und zum Meeresspiegelanstieg bei. Das aber kann sich ändern: „Auch diese Region wäre anfällig für einen künftigen Eisverlust, wenn sich ein warmes Klima wie 2012 weiter fortsetzt“, erklären die Wissenschaftler. Für Grönlands weitere Entwicklung im 21. Jahrhundert wäre dies eine düstere Prognose. (Nature Climate Change, 2022; doi: 10.1038/s41558-022-01441-2)

Quelle: Nature Climate Change, The Geological Survey of Denmark and Greenland (GEUS)

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