Klima

Grönland: Eisschmelze wird zum Selbstläufer

Selbst bei sofortigem Stopp des Klimawandels würde der Eisverlust weitergehen

Grönlandeis
Der Eisverlust in Grönland hat offenbar ein neues Stadium erreicht – hier Eisberge vor der Küste. © Michaela King

Kipppunkt überschritten? Die Eisschmelze in Grönland hat ein neues Stadium erreicht: Gletscher und Eisschild schrumpfen seit Beginn des Jahrtausends selbst im Winter weiter, wie Forscher ermittelt haben. Selbst wenn der Klimawandel sofort aufhören würde, könnte dies den Eisverlust nicht mehr stoppen. Denn das neue Gleichgewicht des Verlusts würde selbst bei verringerter Eisschmelze weiterbestehen.

Grönland ist eine Schlüsselregion für das Klima und den globalen Meeresspiegelanstieg. Denn dieses zweitgrößte Eisreservoir des Planeten taut rasant und lässt enorme Mengen an Schmelzwasser ins Meer fließen. Im Sommer 2019 kam es zu einer Rekordschmelze, die den Meeresspiegel innerhalb von nur zwei Monaten um 2,2 Millimeter ansteigen ließ. Auch die Fronten vieler grönländischer Küstengletscher ziehen sich immer schneller zurück.

„Pulsschlag“ des Grönlandeises

Bisher allerdings folgte der grönländische Eisschild einem klaren saisonalen Puls: Im Sommer ging Eis durch Eisabbrüche und Schmelzwasser verloren, im Winter jedoch glichen Schneefälle vor allem im Inneren der Insel diese Verluste in der Gesamtmasse wieder aus. Ob und wie sich dieser „Pulsschlag“ des Grönlandeises verändert hat, haben nun Michaela King von der Ohio State University und ihre Kollegen untersucht.

Dafür werteten die Forscher Daten von Satelliten aus, die zwischen 1985 und 2018 Eisdicken, Schmelzraten und Gletscherbewegungen für mehr als 200 Gletscher in ganz Grönland aufgezeichnet hatten. „Anhand dieser Fernerkundungsdaten haben wir analysiert, wie sich Eisverluste und Eisneugewinn verändert haben – wir messen quasi den Puls des Eisschilds“, sagt King.

Kein winterlicher Ausgleich mehr

Die Diagnose: Der Puls des Grönlandeises hat sich grundlegend verändert. Noch in den 1980er- und 1990er-Jahren verloren die grönländischen Gletscher pro Jahr rund 450 Gigatonnen an Eis, wie die Forscher berichten. Dieser Verlust wurde jedoch zum großen Teil durch winterliche Schneefälle wieder ausgeglichen. „In fast 40 Prozent der Jahre zwischen 1985 und 1999 führte dies sogar zu einem Wachstum des Eisschilds“, so King und ihr Team.

Eisverlust
Eisverlust des grönländischen Eisschilds von 1985 bis 2018. © King et al.,/ Nature Communications – Earth and Environment, CC-by-sa 4.0

Doch seit dem Jahr 2000 haben sich diese saisonalen Schwankungen in ein neues Gleichgewicht einpendelt. Der Eisschild verliert seither mehr als 500 Gigatonnen Eis pro Jahr, gewinnt aber weniger als vorher durch winterliche Schneefälle hinzu. „Die Rate, mit der das Eis jetzt schmilzt und in den Ozean gelangt, übertrifft seitdem die Akkumulation neuen Eises bei weitem“, sagt King. Die Wahrscheinlichkeit, dass das Grönlandeis im Winter die sommerlichen Verluste wieder wettmacht, liegt nur noch bei einem Prozent – und damit bei einem von 100 Jahren.

Eisverlust selbst bei Stopp

Das aber bedeutet: Das dynamische Gleichgewicht von Eisverlust und Zugewinn hat sich inzwischen soweit verschoben, dass ein weiteres Schwinden des Grönlandeises kaum mehr zu verhindern ist. „Selbst wenn das Klima ab jetzt gleichbleiben oder sogar wieder ein wenig kälter werden würde, würde der grönländische Eisschild weiter an Masse verlieren“, sagt Kings Kollege Ian Howat. Auch ein sofortiger Stopp des Klimawandels könnte dies nicht mehr aufhalten.

Damit könnte das Grönlandeis einen Kipppunkt passiert haben – einen Punkt, an dem das gesamte System sich in einem neuen Zustand einpendelt. Dabei sorgen positive Rückkopplungen dafür, dass dieses neue Gleichgewicht sich selbst stabilisiert und daher auch bei Rückkehr der alten Bedingungen nicht mehr oder nur mit großer Verzögerung wieder in den alten Zustand zurückkehrt. „Der Gletscherrückzug hat die Dynamik des gesamten Eischilds in einen konstanten Zustand des Verlusts gekippt“, sagt Howat. (Nature Communications – Earth and Environment, 2020; doi: 10.1038/s43247-020-0001-2)

Quelle: Ohio State University

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