Nach Jahrzehnten der Stabilität beginnt jetzt einer der größten Küstengletscher Grönlands, der Helheim-Gletscher, dramatisch zu schrumpfen. In den letzen Jahren beschleunigte er seinen Fluss und zog sich um fast acht Kilometer zurück. Nach Ansicht von Wissenschaftlern könnte dies das Abschmelzen der grönländischen Eisdecke und den Anstieg der Meeresspiegel beschleunigen.
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Der Helheim-Gletscher ist ein Fluss aus Eis, der sich vom grönländischen Inland durch eine enge Spalte im Küstengebirge ins Meer ergießt. Im Küstengewässer sinkt die Eiszunge zunächst bis auf den Meeresgrund, erst in tieferem Wasser und damit höheren Wasserdichten erhält das Eis genügend Auftrieb, um zu schwimmen und nach und nach Eisberge abzukalben. Wissenschaftler um Ian Howat und Slawek Tulaczyk, Professor für Geowissenschaften an der Universität von Kalifornien in Santa Cruz haben jetzt die die Bewegungen des Helheim-Gletschers mithilfe von Satellitenbildern analysiert.
Die Ergebnisse zeigten, dass die Gletscherfront seit den 1970er Jahren zunächst jahrzehntelang an der gleichen Stelle blieb, sich aber im Jahr 2001 plötzlich rapide zu verändern begann. Zwischen 2001 und 2005 zog sich die Gletscherfront um mehr knapp acht Kilometer zurück und dünnte um fast 40 Meter aus. Nach Ansicht von Tulaczyk sind die steigenden Luft- und Meerestemperaturen – in Grönland stiegen sie um rund drei Grad in den letzen zehn Jahren – für diese Entwicklung verantwortlich. Die Erwärmung stört die feine Balance zwischen Gletscherdicke und Wassertiefe und dünnt den Gletscher aus. Erreicht die Ausdünnung einen kritischen Punkt, beginnt die Eiszunge zu schwimmen und löst sich schneller auf.
Teufelskreis aus Ausdünnung und Beschleunigung
„Die Ausdünnung der Küstengletscher könnte schon länger als ein Jahrzehnt anhalten“, erklärt Howat. „aber erst in den letzten Jahren hat sie einen kritischen Punkt erreicht und damit die Dynamik des Gletschers dramatisch verändert.“ Die sich zurückziehende Front des Gletschers lässt ihn zudem in den höheren Regionen des Küstengebirges schneller fließen und dünnt ihn so noch weiter aus. Mit jeder weiteren Ausdünnung aber steigt auch seine Fließgeschwindigkeit weiter an, so Tulaczyk
Die grönländische Eisdecke enthält genügend Wasser, um die globalen Meeresspiegel um vier bis sechs Meter ansteigen zu lassen – würde sie komplett abschmelzen. Zwar gilt dies als sehr unwahrscheinlich, doch schon eine kleine Veränderung in der Schmelzrate könnte nach Ansicht von Tulaczyk genügend Süßwasser freisetzen um die klimatisch wichtigen Strömungen im Nordatlantik zu verändern.
Solche Veränderungen könnten auch dramatische Folgen für die Modelle der Klimaforscher haben. „Bisherige Modelle behandeln die Eisdecke als wenn es ein schmelzender Eiswürfel wäre. Doch wir stellen fest, dass es eben so einfach nicht ist“, erklärt Howat. Wenn der Gletscher sich beschleunigt und zurückzieht, kommen neue Faktoren ins Spiel, die genau diese Entwicklung noch weiter verstärken. „Das ist schon ein sehr schneller Gletscher und es wird wohl noch schneller werden“, so der Forscher.
Eisdecke in Gefahr?
Die Wissenschaftler befürchten, dass sich der Gletscherrückzug auch auf andere Gebiete der grönländischen Eisdecke übertragen und sie langsam weiter ausdünnen könnte. „Wenn andere Gletscher in Grönland wie Helheim reagieren, könnte dies die Zeit locker halbieren, die zur Zerstörung der grönländischen Eisdecke benötigt wird“, erklärt Howat. „Wir dachten, dieser Prozess findet nur in der Antarktis statt, doch jetzt sehen wir, dass es in Grönland richtig schnell geht.“
„Unsere Forschung liefert starke Belege dafür, dass der schnelle Schmelzprozess, wie wir ihn am Helheim-Gletscher beobachtet haben, eine Rolle in der Schrumpfung der gesamten Eisdecke spielen wird“, erklärt Tulaczyk. „Aber zur Zeit ist dieser Prozess so nicht in den Modellen enthalten. Mein Ziel ist es, die Eidsdeckenmodellierer davon zu überzeugen, auch diese dynamische Entwicklung in die Modelle mit aufzunehmen.“
Aktuelle Studien haben gezeigt, dass auch viele andere Gletscher im Süden Grönlands auf dem Rückzug sind. Bisher allerdings wurde nur einer davon, der Jakobshavn Isbrae Gletscher, genau genug untersucht, um auch die Beschleunigung als Begleiterscheinung des Schrumpfens feststellen zu können.
(University of California – Santa Cruz, 15.11.2005 – NPO)