Klingt unglaublich: Das häufigste Mineral der Erde hatte bis jetzt keinen offiziellen Namen. Denn es kommt nur im unteren Erdmantel vor und damit außer Reichweite von Forschern. Jetzt jedoch haben Forscher winzige Spuren dieses Minerals in einem Meteoriten nachgewiesen und konnten seine Struktur erstmals im Detail beschreiben. Damit sind die Bedingungen erfüllt, um es endlich offiziell zu taufen: Bridgmanit, nach einem Pionier geologischer Hochdruck-Experimente.
Je tiefer wir in das Erdinnere vordringen, desto höllischer werden die Bedingungen: Im Erdmantel steigen die Temperaturen bis auf über tausend Grad und der Druck erhöht sich bis auf das Millionenfache der Erdatmosphäre. Von solchen Verhältnissen bleiben selbst Gesteine und Minerale nicht unberührt. Wegen des hohen Drucks können sie nicht schmelzen, aber ihre Atome gehen den Weg des geringsten Widerstands: Sie bilden mit zunehmender Tiefe immer platzsparendere und damit stabilere Kristallstrukturen.
Dominierend, aber unerreichbar
Seismische Messungen deuten darauf hin, dass das im Erdmantel vorherrschende Magnesium-Eisen-Silikat (Mg, Fe)SiO3 bei etwa 660 Kilometern Tiefe in eine noch kompaktere Mineralform übergeht. Diese inoffiziell als Silikat-Perowskit bezeichnete Mineralform dominiert den unteren Mantel und macht nach Schätzung von Geologen immerhin 38 Prozent des gesamten Erdvolumens aus. Aber welche Struktur diese Mineralform hat, blieb mangels realer Proben unklar.
„Eine der eklatantesten Lücken in der Erforschung des Erdmantels ist unser Unvermögen, Proben für das wahrscheinlich häufigste gesteinsbildende Mineral der Erde zu finden“, konstatieren Oliver Tschauner von der University of Nevada in Las Vegas und seine Kollegen. Der Grund dafür: Dieses Mineral ist nur unter den extremen Bedingungen des unteren Erdmantels stabil. Gelangt es in druckärmere Bereiche, lagern sich seine Atome bei Erwärmung wieder um und die Struktur geht verloren.
Keine Beschreibung – kein Name
Das aber bedeutet auch, dass dieses Mineral bisher namenlos bleiben musste. Denn die Regeln der Internationalen Mineralogischen Gesellschaft besagen, dass dafür eine in der Natur gefundene Probe beschrieben werden muss. Diese Peinlichkeit haben die Forscher nun – mit ein wenig außerirdischer Hilfe – behoben.
Aus früheren Beobachtungen weiß man, dass hochkompakte Mineralformen auch bei Meteoriteneinschlägen entstehen können. Im Moment des Impakts entstehen im Gestein ähnlich hohe Temperaturen und Drücke wie im Erdinneren. Tatsächlich lieferten Analysen solcher Meteoritengesteine erste Hinweise auf das lange gesuchte Perowskit-Mineral, zerstörten aber seine Struktur, bevor sie beschrieben werden konnte.
Nachweis in angeschmolzenem Chondriten
Tschauner und seine Kollegen haben nun Proben eines Meteoriten mit Hilfe von energiereichen synchrotronen Röntgenstrahlen untersucht. „Diese beschädigen das Bridgmanit nicht, weil sie kaum absorbiert werden“, erklären die Forscher. Und tatsächlich: In einem kleinen Schmelzäderchen des Meteoriten fanden die Forscher das Mineral und konnten seine Gitterstruktur und chemische Zusammensetzung erstmals genau beschreiben. Auch die Abstände der einzelnen Atome im Gitter ließen sich mit Hilfe der Röntgenstrahlen ausmessen.
Wie die Forscher berichten, stimmt die von ihnen bestimmte Struktur relativ gut mit theoretischen Annahmen und mit den im Labor erzeugten künstlichen Variante überein, ist aber reicher an Natrium und Eisen als erwartet. Aus den Analysen schließen sie zudem, dass diese Mineralform ab Drücken von 23 bis 25 Gigapascal und Temperaturen von 2.000 bis 2.400 Kelvin entsteht.
Pionier der experimentellen Geophysik stand Pate
Das Wichtigste aber: Mit dieser Beschreibung sind endlich die Bedingungen für eine offizielle Benennung erfüllt. Auf Vorschlag der Forscher heißt das häufigste Mineral der Erde daher nun Bridgmanit. Es ist benannt nach Percy Bridgman, der vor mehr als 100 Jahren die ersten Apparaturen entwickelte, mit denen sich Drücke von bis zum 700 Atmosphären im Labor erzeugen ließen.
Seine Konstruktionen waren die Vorläufer der heute verwendeten Diamantstempelzelle, bei denen eine kleine Materialprobe zwischen zwei Diamanten zusammengepresst wird. In solchen Zellen lassen sich Drücke von bis zu 110 Gigapascal erreichen, das entspricht dem Druck am Übergang vom Erdmantel zum Erdkern. (Science, 2014; doi: 10.1126/science.1259369)
(Science, 28.11.2014 – NPO)