Wind als Schöpfer: Beim Bau der berühmten Sphinx von Gizeh könnte die Hauptarbeit nicht von ägyptischen Baumeistern, sondern vom Wind geleistet worden sein, wie ein Experiment enthüllt. Demnach konnte die grobe Form der riesigen Löwenstatue mit Menschenkopf unter den Bedingungen der ägyptischen Wüste ganz von allein entstehen – durch jahrtausendelange Winderosion. Die Ägypter mussten dann nur noch die Details des Gesichts und der Gliedmaßen ausarbeiten, wie die Forscher berichten.
Die Sphinx von Gizeh ist eines der berühmtesten und eindrucksvollsten Kunstwerke des alten Ägypten. Die 20 Meter hohe und gut 70 Meter lange Statue eines Löwen mit Menschenkopf steht in der Nähe der Pyramiden von Gizeh und wurde vor rund 4.500 Jahren von ägyptischen Steinmetzen gefertigt. Was diese jedoch vor Beginn ihrer Arbeiten in diesem Wüstenterrain vorfanden und welche Rolle schon vorher dort präsente Landschaftsformen spielten, ist strittig.
Modellierte der Wind die Rohform der Sphinx?
Eine der Hypothesen zum Ursprung der Sphinx haben nun Samuel Boury von der New York University und sein Team näher untersucht. Sie wollten wissen, ob die Winderosion auch ohne Zutun des Menschen Formen ähnlich der Sphinx aus dem Untergrund herausschälen kann. Den Anstoß zu dieser Idee gab die Beobachtung, dass es in vielen Wüsten und sogar auf dem Mars langgestreckte Erhebungen gibt, die vom Wind in eine manchmal liegenden Tieren ähnliche Form geschliffen wurden.
Könnte auch die Sphinx von Gizeh aus einer solchen auch als Yardang bezeichneten Erosionsform entstanden sein? Immerhin ist auch sie in Ost-West-Richtung ausgerichtet – also entlang der Hauptwindrichtung. Welche Rolle die Winderosion spielte, haben Boury und sein Team nun durch eine Rekonstruktion im Kleinmaßstab getestet. Dafür modellierten sie zunächst eine einfache Erhebung aus weichem Ton, in das im vorderen Teil ein härteres Material eingearbeitet war. Vorbild dafür war die ebenfalls uneinheitliche Zusammensetzung der Sphinx: Auch ihr Kopf und Teile des Vorderkörpers bestehen aus einem etwas härteren Gestein als der Rumpf, wie die Forschenden erklären.
Aus einem Tonklumpen wird eine Figur
Um den Effekt der Jahrtausende anhaltenden Erosion durch den Wüstenwind in Gizeh im Zeitraffer nachzubilden, setzten sie ihren Rohling dann in einen Strömungskanal, in dem sie den Wasserfluss so anpassten, dass seine Richtung und erodierende Wirkung der der Winde in der Wüste von Gizeh entsprach. Im Verlauf des Experiments verfolgten die Forschenden dann die Formveränderungen des Rohlings mit Kameras und Laserscanning.
Und tatsächlich: „Unsere Laborexperimente zeigten, dass überraschend Sphinx-ähnliche Formen entstehen können, wenn Material durch schnelle Strömungen abgetragen wird“, sagt Seniorautor Leif Ristroph von der New York University. Im Verlauf der Erosion trugen die Strömungen die Oberseite des Rückens ab und erzeugten an der Vorderseite eine Eindellung ähnlich dem Hals und der Brust der Sphinx. Der Kopf, der aus härterem Material bestand, widerstand der Erosion weitgehend und ragte daher über den Rücken hinaus.
Kopf, Rumpf und Pfoten
Das Ergebnis der Erosionstests war eine Form, die bereits auffallende Ähnlichkeit mit einer liegenden Tierfigur mit erhobenem Kopf hatte – quasi eine Rohform der berühmten Sphinx. „Aus einem formlosen Hügel wird so ein majestätischer, ruhender Löwe“, schreiben die Forschenden. „Der zylindrische Kopf besteht dabei aus dem härteren Einschluss und sein Windschatten schirmt den Körper ab.“ Dadurch bleibt der Rumpf der Figur erhalten, während das Material in der Umgebung abgetragen wird.
Der Hals, die Vorderbeine und die Pfoten entstehen, weil die abtragende Strömung sich in diesem Bereich des Vorderkörpers beschleunigt, wie Strömungsanalysen ergaben. „Die ungewöhnlichen Formen kommen durch diese Ablenkung der Strömungen entlang der härteren, weniger erodierbaren Teile zustande“, erklärt das Team.
Inspiration und Rohling für die ägyptischen Baumeister
„Damit liefern unsere Ergebnisse eine einfache Erklärung für den Ursprung der Sphinx. Sie zeigen, dass Sphinx-ähnliche Formationen durch die Erosion entstehen können“, sagt Ristroph. „Es gibt noch heute Yardangs, die wie sitzende oder liegende Tiere aussehen, was unsere Schlussfolgerungen stützt.“ Seiner Ansicht nach könnten die ägyptischen Baumeister einen solchen, vom Wind schon vorgeformten „Rohling“ als Inspiration und Ausgangspunkt für ihre monumentale Sphinx-Statue genutzt haben,
Inspiriert von der tierähnlichen Form dieses natürlichen Yardangs könnten die Ägypter dann das Gesicht, die Pfoten und andere feinerer Details der Statue mit entsprechenden Werkzeugen weiter ausgearbeitet haben. „Unsere Resultate zeigen, was die Menschen damals in der ägyptischen Wüste vorgefunden haben könnten und warum sie ausgerechnet dort eine so fantastische Kreatur schufen“, schreiben die Wissenschaftler. (Physical Review Fluids, accepted)
Quelle: New York University