Evolutionäres Paradox: Warum hatten die ersten irdischen Lebensformen schon Gene für die Sauerstoff-Verwertung, obwohl es in der Ur-Atmosphäre noch gar keinen Sauerstoff gab? Eine Antwort darauf könnte nun die Geochemie liefern. Denn ein Experiment belegt, dass Silikatgestein beim Zermahlen mit heißem Wasser Wasserstoffperoxid freisetzt, das dann zu O2 reagieren kann. An tektonischen Verwerfungen und heißen Quellen könnten die ersten Zellen demnach genügend Sauerstoff zum Verstoffwechseln gefunden haben, wie Forscher berichten.
Gängiger Annahme nach waren die ersten Lebensformen auf unserem Planeten anaerob: Sie brauchten zum Überleben und zur Energiegewinnung weder Luft noch Licht, sondern zehrten primär von Wasserstoff, Ammoniak und Kohlendioxid. Das legen genetische Rekonstruktionen des letzten gemeinsamen Vorfahren allen Lebens (LUCA) nahe. Auch das erste Ur-Bakterium war wahrscheinlich anaerob. Dies war auch sinnvoll, weil die Ur-Atmosphäre der Erde noch so gut wie keinen Sauerstoff enthielt – er wurde erst nach Evolution der ersten Algen in größerem Maße freigesetzt.

Rätsel um „Sauerstoff-Gene“ bei der Urzelle
Merkwürdig nur: Die genetischen Rekonstruktionen ergaben auch, dass diese ersten Lebensformen schon Gene für die Verarbeitung von Sauerstoff und Wasserstoffperoxid (H2O2) besaßen – obwohl beides auf der Urerde kaum vorkam. „Die Präsenz dieser Sauerstoff-verwertenden Gene wurde daher meist als irreführendes Artefakt angesehen – als Relikt von Gentransfers, die erst nach der Evolution der Photosynthese stattfanden“, erklären Jordan Stone von der Newcastle University und seine Kollegen.
Es gäbe aber noch eine andere Erklärung: „Eine Alternative ist, dass es schon vor dem Aufkommen der Photosynthese eine andere, substanzielle geologische Quelle für Sauerstoff und Peroxid auf der Urerde gab“, sagen die Forscher. So könnte durch geochemische Reaktionen Wasserstoffperoxid entstehen, dass dann wiederum in molekularen Sauerstoff und Wasser zerfällt. Tatsächlich hatten frühere Studien bereits ergeben, dass Silikatgesteine beim Zermahlen unter anaeroben Bedingungen mit Wasser reagieren und Wasserstoffperoxid erzeugen können – allerdings nur in verschwindend geringen Mengen.