Warum gibt es auf der uns zugewandten Seite des Mondes mehr große Krater als auf seiner Rückseite? Eine Antwort auf dieses Rätsel hat nun ein internationales Forscherteam gefunden: Nicht die Zahl oder Art der Einschläge auf dem Erdtrabanten unterschieden sich, sondern die Beschaffenheit des Untergrunds und vor allem dessen Temperatur zur Zeit der Kraterbildung, so die Forscher im Fachmagazin „Science“.
Vor rund 4,2 bis 3,7 Milliarden Jahren war das Sonnensystem ein reichlich ungemütlicher Ort: Ständig schlugen Brocken auf Planeten und Monden ein, die bei der Planetenbildung übriggeblieben waren. Dieses sogenannte „große Bombardement“ hinterließ einige der großen Einschlagskrater auf Erde, Mars und auch dem Mond. Wie groß die damals auftreffenden Objekte waren, lässt sich normalerweise aus der Kratergröße ermitteln.
Rätselhafte Diskrepanz
Doch gerade auf dem Mond ist das schwierig, wie Katarina Miljković von der Sorbonne in Paris und ihre Kollegen berichten. Viele Krater füllten sich mit Lava, die wichtige Merkmale verdeckt. Andere besitzen mehrere Kraterringe, die es schwer machen, den ursprünglichen, während des Einschlags entstandenen Krater zu identifizieren. Eine Annäherung an die tatsächliche Größe der Mondkrater lieferten aber in den letzten beiden Jahren Daten der Mondsonde Gravity Recovery and Interior Laboratory (GRAIL). Sie ermittelt über Schwerkraftmessungen die Krustendicke und kann so die durch einen Einschlag ausgedünnten Krustenstellen identifizieren.
Doch bei diesen Messungen fiel Seltsames auf: „Obwohl die zu- und abgewandte Seite des Mondes ungefähr gleich viele Einschlagsbecken besitzen, ist ihre Größenverteilung extrem asymmetrisch“, berichten die Forscher. Während auf der uns zugewandten Seite acht von den zwölf großen Kratern Durchmesser von mehr als 320 Kilometer besitzen, erreicht auf der abgewandten Seite gerade mal einer diese Größe. Und wie Modelle zeigen, kann dies nicht an Unterschieden im Bombardement liegen. „Selbst bei einer großen Spannbreite von Impakt-Szenarien sollte der Unterschied zwischen beiden Mondseiten bei weniger als einem Prozent liegen“, so Miljković und ihre Kollegen.
Die Vorderseite war heißer
Was aber ist dann für die rätselhaften Größenunterschiede der Mondkrater verantwortlich? Die Forscher hatten einen Verdacht: Möglicherweise war der Untergrund schuld. Denn geologische Untersuchungen zeigen, dass die Kruste der Mondvorderseite zur Zeit des großen Bombardements vermutlich heißer und daher möglicherweise weicher war als auf der uns abgewandten Mondseite. Davon zeugt die heutige Mineralzusammensetzung der Mondkruste.
Die Wissenschaftler testeten nun mit Hilfe numerischer Simulationen, welchen Einfluss die damalige Krustenbeschaffenheit auf die Kraterbildung hatte. Dafür ließen sie einen virtuellen Asteroiden mit 10 bis 17 Kilometern pro Sekunde in eine ebenfalls virtuelle Mondkruste einschlagen. Die Dicke, Beschaffenheit und Temperatur der Kruste wurde dabei entsprechend variiert.
Temperatur beeinflusst Kraterkollaps
Das Ergebnis: Der Einschlag des virtuellen Brockens erzeugte zunächst auf allen Untergründen identische Senken. Doch dieser sogenannte transiente Krater blieb nicht erhalten. Stattdessen lösten die gewaltigen Energien des Impakts Folgeprozesse aus, die die Kraterform nachträglich veränderten – und dies auf beiden Mondseiten jeweils unterschiedlich. „Auf der kühleren und festeren abgewandten Seite kollabiert die Kruste unter dem vorläufigen Kraterrand nach innen“, berichten die Forscher. Dadurch wird der resultierende Krater kleiner.
Auf der zugewandten Seite des Mondes dagegen ist die Kruste wärmer und dünner. Dadurch federt der Mantel unter dem Kratergrund nach dem Einschlag stärker nach oben zurück. Dadurch fällt der Kraterrand nicht nach innen, sondern eher nach außen. Als Folge entsteht ein Krater, der nahezu doppelt so groß wird wie sein Gegenstück auf der kälteren abgewandten Seite.
Meteoritengröße bisher überschätzt?
Dieses Ergebnis aber hat Konsequenzen: Wie Miljković und ihre Kollegen erklären, bedeutet dies, dass man bisher die Größe der Brocken deutlich überschätzt hat, die einst auf dem jungen Mond einschlugen. „Die Größenverteilung auf der Mondrückseite ist ein genauerer Indikator der Einschlagsgeschichte des inneren Sonnensystems“, konstatieren die Forscher. Nehme man nur die Kratergrößen auf der Vorderseite als Maßstab, verfälsche dies die Schätzungen der Asteroidenmassen.
Und auch auf anderen Planeten könnten Unterschiede in Dicke und Temperatur der Kruste die Kratergrößen nachträglich beeinflusst haben. So ist beispielsweise auf dem Mars die Kruste im nördlichen Hochland dicker als in den südlichen Ebenen. Und auch die auf der Venus herrschende Hitze muss bei Kratervermessungen künftig stärker berücksichtigt werden. (Science, 2013; doi: 10.1126/science.1243224
(Science, 08.11.2013 – NPO)