Eine wilde Mischung: Forscher haben herausgefunden, aus welchem Leder die Kleidung und Ausrüstung von „Ötzi“ gefertigt waren. Der „Mann aus dem Eis“ nutzte demnach sowohl Wildtiere als auch domestizierte Arten als Material-Lieferanten. Das belegt aus den Fundstücken isolierte DNA. So besteht die Mütze aus Bärenfell und der Köcher aus Rehleder. Hose, Jacke und Schuhriemen stammen dagegen von Ziege, Schaf und Rind, wie die Forscher im Fachmagazin „Scientific Reports“ berichten.
Die in den Ötztaler Alpen entdeckte Gletschermumie „Ötzi“ ist wahrscheinlich der am besten untersuchte prähistorische Europäer überhaupt. Analysen seiner 5.300 Jahre lang im Eis konservierten Überreste haben bereits enthüllt, dass Ötzi tätowiert war, keine Milch vertrug, schlechte Zähne hatte und möglicherweise unter einem Magengeschwür litt. Auch seine Herkunft und die Umstände seines Todes weiß man heute Einiges.
Herkunft der Kleidung unklar
Weitgehend rätselhaft aber blieb die Herkunft von Ötzis Kleidung und Ausrüstung. Denn die meisten Leder- und Gewebeteile sind zu stark zersetzt, um typische Strukturmerkmale per Mikroskop erkennen zu können. Die chemische Analyse von Proteinen in diesen Materialien lieferten zudem widersprüchliche Ergebnisse.
Niall O’Sullivan von der Europäischen Akademie Bozen (EURAC) und seine Kollegen ist es nun gelungen, aus den 5.300 Jahre alten Lederresten noch tierisches Erbgut zu gewinnen. Für ihre Studie entnahmen sie Proben aus Ötzis Jacke, Hose und Schuhen, sowie aus seiner Mütze und dem Köcher, in dem er seine Pfeile trug. Mit modernsten Methoden der Genanalyse haben sie die mitochondriale DNA dieser Leder isoliert und mit der von heute lebenden Tieren verglichen.
Leder von fünf Tierarten
Das Ergebnis: Das Leder für die Kleidung und Ausrüstung des Eismannes stammte von mindestens fünf verschiedenen Tierarten. „Allein die Jacke war eine Kombination von vier verschiedenen Häuten und zwei Tierarten: Schaf und Ziege“, berichten die Forscher. Das aus hellen und dunklen Fellteilen bestehende Kleidungsstück müsse damals aus verschiedenen Resten zusammengenäht oder mehrfach geflickt worden sein.
Aus einem „Guss“ waren dagegen die Beinlinge des Eismannes: Sie bestehen komplett aus dem Leder von domestizierten Ziegen. Dieses Ergebnis widerspricht dem von früheren Proteinanalysen, die ein Patchwork aus Schafsleder ergeben hatten. Für den Lendenschurz des Eismannes stimmen die Befunden dagegen überein: Er bestand aus Schafsleder.
Gezielte Auswahl der Materialien
Ebenfalls von einem domestizierten Tier stammen Ötzis Schuhriemen: Sie waren aus Rindsleder gefertigt, wie die Genanalysen ergaben. „Damit stammt die Mehrheit des verwendeten Leders von domestizierten Huftieren“, sagen die Forscher. Das passe gut zur Lebensweise der damaligen Alpenbewohner als Viehzüchter und Bauern.
Die Verwendung verschiedener Ledersorten wiederum spricht nach Ansicht der Wissenschaftler dafür, dass die Alpenbewohner der Kupferzeit für bestimmte Kleidungsstücke gezielt die Lederarten aussuchten, die die gewünschten Eigenschaften mitbrachten. So war beispielsweise Ziegenleder besonders geschmeidig, Rindsleder sehr stabil.
Kupferzeit-Bauern jagten auch Wildtiere
Ötzis Mütze und Köcher jedoch fallen aus dem Rahmen. Denn sie waren beide aus dem Fell und Leder von Wildtieren gefertigt: Die Mütze besteht aus dem Fell eines Braunbären, der Köcher aus Rehleder, wie die Analysen ergaben. Letzteres ist der erste Nachweis für ein Material von dieser Tierart in Ötzis Ausrüstung, so die Forscher.
„Obwohl Ötzi ein Bauer war, liefern Hut und Köcher den Beweis dafür, dass diese Menschen auch wilde Tiere jagten und fingen“, konstatieren O’Sullivan und seine Kollegen. Dazu passt auch ein früherer Befund, nachdem Ötzi irgendwann vor seinem Tod Hirschfleisch und Luchs gegessen haben muss. „Die Menschen der Kupferzeit nutzten tierische Ressourcen demnach nach Verfügbarkeit, Funktionalität und Notwendigkeit“, sagen die Forscher. Sprich: Sie handelten damals nicht viel anders als wir heute. (Scientific Reports, 2016; doi: 10.1038/srep31279)
(Nature Group, 19.08.2016 – NPO)