Die Höhe spielt für den Menschen eine besondere Rolle: Wanderer besteigen Türme, um die Aussicht zu genießen und Menschen retten sich vor Überflutungen in höheres Terrain. Exakte Informationen über die Höhe werden erst recht beim Bau von Straßen, Eisenbahnstrecken, Brücken, Hochhäusern oder Wasserbauwerken benötigt. Doch wer weiß schon, dass es allein in Europa 15 verschiedene Höhenbezugssysteme gibt und dass zwischen den Höhenmessungen mit GPS und Höhen in Bezug auf den Meeresspiegel bis zu 110 Meter Unterschied liegen können?
Im Jahr 2003 kam es beim Brückenneubau über den Rhein an der deutsch-schweizerischen Grenze zu einer peinliche Panne: In Laufenburg bauten die Ingenieure von beiden Ufern aus zeitgleich an den Köpfen einer Brücke, die sich schließlich über der Flussmitte treffen sollten. Schon bald stellte sich jedoch heraus, dass zwischen beiden Brückenteilen ein rund 54 Zentimeter großer Höhenunterschied klaffte, der den Brückenschluss zunächst unmöglich machte. Was war geschehen?
Meereshöhe unterschiedlich
In der Schweiz und in Deutschland werden zwei unterschiedliche Höhensysteme benutzt: Die Schweiz leitet ihre Höhen vom Niveau des Mittelmeeres durch Anschluss an den Pegel von Marseille ab, Deutschland hingegen bezieht sich mit dem Amsterdamer Pegel auf den Meeresspiegel der Nordsee. Nun existiert aufgrund der Meerestopographie zwischen Nordsee und dem Mittelmeer jedoch eine natürliche Höhendifferenz. Der Unterschied zwischen den Höhensystemen der Schweiz und Deutschlands war den Ingenieuren in Laufenburg zwar bekannt. Allerdings korrigierten sie ihre unterschiedlichen Höhenangaben mit dem falschen Vorzeichen und verursachten so das ungewöhnliche „Brückenloch“.
Salzgehalt und Temperatur entscheidend
Zur Bestimmung der Höhe wird schon seit Jahrhunderten der Meeresspiegel benutzt. Allerdings weicht dessen Höhe, beeinflusst durch das Schwerefeld der Erde und die Gezeiten, bis zu 110 Meter vom Erdrotationsellipsoid, der mathematisch berechneten Idealgestalt der Erde, ab. „Ein ideales Höhensystem bezieht sich jedoch nicht auf das Ellipsoid sondern auf die physikalische Idealfigur der Erde, das Geoid“, erklärt Johannes Ihde, Leiter der Abteilung Geodäsie vom Bundesamt für Kartographie und Geodäsie (BKG) in Frankfurt am Main. „Durch Unterschiede im Salzgehalt und der Temperatur der Meere, Meeresströmungen oder Windstau weicht die mittlere Meeresoberfläche aber auch vom Geoid global um ein bis zwei Meter ab. Durch diese Meerestopographie unterscheiden sich natürlich auch die Höhensysteme einzelner Länder oder Regionen voneinander“, fügt Ihde hinzu.
Allein in Europa existieren historisch bedingt 15 verschiedene Höhenbezugssysteme, die inzwischen zumindest für länderübergreifende Geodaten durch das European Vertical Reference System (EVRS) vereinheitlicht wurden. Nach wie vor orientieren sich jedoch viele nationale Referenzsysteme an ihren eigenen Höhenbezugspunkten, wie beispielsweise dem Amsterdamer Pegel. Dieser wurde bereits Ende des 17. Jahrhunderts eingerichtet und diente vor allem dem Hochwasserschutz – möglicherweise handelte es sich hierbei sogar um das erste Frühwarnsystem in Europa.
Drei Höhenbezugssysteme in Deutschland
„Auch in Deutschland bezieht sich die Höhenangabe Normalnull (NN) auf den Pegel von Amsterdam“, erläutert Ihde die nationalen Höhenbezugssysteme. „Das Höhennull (HN) hingegen, eingeführt in der DDR, orientiert sich am mittleren Wasserstand bei Kronstadt vor St. Petersburg und liegt rund 14 Zentimeter höher als der Amsterdamer Pegel. Um zukünftige Missverständnisse auszuschließen, wurde daher für Deutschland im Jahr 1993 die Einführung eines einheitlichen Höhenbezugssystems beschlossen“, fügt Ihde hinzu. Auch dieses Deutsche Haupthöhennetz92 (DHHN92) orientiert sich mit seinen Werten in Normalhöhennull (NHN) am Pegel Amsterdam. „Genau genommen werden über dem Meeresspiegel die Potentialunterschiede des Erdschwerefeldes gemessen und anschließend in das metrische System umgerechnet“ erklärt Ihde den physikalischen Ansatz der Höhensysteme.
Satelliten messen geometrische Höhen
Ein neueres Verfahren bietet hingegen das GPS, mit dem sich die geometrischen Höhen bestimmen lassen. „GPS ist nicht vom Erdschwerefeld beeinflusst und liefert somit dreidimensionale Koordinaten in Bezug auf den Erdschwerpunkt. Da sich das zugrunde liegende Erdrotationsellipsoid jedoch bis zu 110 Meter vom Geoid des Erdschwerefeldes unterscheidet, dürfen diese beiden Arten der Höhenmessung nicht miteinander vermischt werden“, so Ihde. In Deutschland schwanken die Unterschiede beider Messmethoden beispielsweise zwischen 36 Metern an der Ostseeküste und 50 Metern im Schwarzwald.
In den letzten Jahren haben jedoch Geodäten mit Satellitenradaraltimeter- und Schwerefeldmessungen gemeinsam mit Ozeanographen globale Modelle für die mittlere Meerestopographie abgeleitet. „Diese beschreiben die Abweichungen zwischen Geoid und der mittleren Meeresoberfläche mit Dezimeter-Genauigkeit und reduzieren so mögliche Differenzen bei der Höhenbestimmung von Bergen oder Tiefen mit unterschiedlichen Pegeln“, erläutert Ihde die Vorteile der Messungen. Darüber hinaus arbeiten Geodäten weltweit an der Realisierung eines einheitlichen Welthöhensystems. Die neuen Satellitenschwerefeldmissionen CHAMP, GRACE und GOCE, werden die Geowissenschaftler einen Schritt weiterbringen, um den Erdkörper mit cm-Genauigkeit zu vermessen und Veränderungen besser vorhersagen zu können.
(Johannes Ihde (BKG), 28.04.2006 – AHE)