Der moderne Mensch besiedelte möglicherweise bereits vor 125.000 Jahren die Arabische Halbinsel – 60.000 Jahre früher als bisher angenommen. Darauf deutet der Fund von Steinwerkzeugen des Homo sapiens im arabischen Jebel Faya hin. Die jetzt in „Science“ veröffentliche Studie eines internationalen Forscherteams liefert zudem Indizien dafür, dass diese Menschen entgegen gängiger Lehrmeinung direkt aus Afrika kamen und nicht über das Niltal oder den Nahen Osten.
Über die zeitliche Abfolge der Verbreitung des modernen Menschen aus Afrika wird seit langem debattiert. Die bisher stichhaltigste These geht davon aus, dass der Homo sapiens vor rund 60.000 Jahren entlang des Mittelmeers oder der arabischen Küste den schwarzen Kontinent verließ und begann, auch Asien und Europa zu besiedeln. Es gibt allerdings Fossilfunde – vor allem im Nahen Osten – die eine möglicherweise sehr viel frühere Wanderung und Präsenz des modernen Menschen außerhalb Afrikas andeuten. Sie sind jedoch umstritten.
Werkzeugfund im Osten der Arabischen Halbinsel
Jetzt hat ein internationales Forschungsteam unter Leitung von Simon Armitage vom Royal Holloway College der Universität London an der Ausgrabungsstätte Jebel Faya in den Vereinigten Arabischen Emiraten eine möglicherweise entscheidende Entdeckung gemacht: Sie stießen auf einen vorzeitlichen menschlichen Werkzeugsatz, der nach Ansicht der Forscher vom Homo sapiens stammen muss.
Wanderung des Homo sapiens 60.000 Jahre früher?
Armitage datierte das Alter dieser Steinwerkzeuge mit dem so genannten Lumineszenzverfahren und kam zu dem Schluss, dass die Fundstücke etwa 100.000 bis 125.000 Jahre alt sein müssen.Zu den gefundenen Werkzeugen gehören ein relativ primitives Beil sowie verschiedene Schaber und Locher. Sie deuten darauf hin, dass technische Neuerungen für diese Frühmenschen nicht unbedingt notwendig waren, um auf die arabische Halbinsel zu wandern.
„Die anatomisch modernen Menschen – wie Sie und ich – entwickelten sich in Afrika vor etwa 200.000 Jahren und breiteten sich von dort aus allmählich in die restliche Welt aus“, erklärt Armitage. „Unsere Funde werden wahrscheinlich die Frage neu entfachen, auf welche Weise der moderne Mensch zu einer globalen Spezies wurde.“ Denn die neuen Funde platzieren den Homo sapiens immerhin gut 60.000 Jahre früher außerhalb Afrikas als bisher angenommen.
Südroute statt Naher Osten?
Zudem liegt der Fundort Jebel Faya nicht im Nahen Osten, dem bisher von der Wissenschaft favorisierten Wanderungsweg, sondern auf der Ostseite der Arabischen Halbinsel. Er könnte damit auch auf einen anderen räumlichen Verlauf des Auszugs des homo sapiens auf Afrika hindeuten. Demnach könnten die Frühmenschen einen Weg „untenrum“ – entlang der Südküste Arabiens – gewählt haben.Gestützt wird diese Hypothese durch Erkenntnisse, die Wissenschaftler der Universität Tübingen unter der Leitung von Hans-Peter Uerpmann beisteuerten.
Sie analysierten Daten zur Änderung des Meeresspiegels und des Klimas für die Region während der letzten Zwischeneiszeit vor etwa 130.000 Jahren. Ihr Ergebnis: Die Meerenge Bab al-Mandab, die die Arabische Halbinsel vom Horn von Afrika trennt, war damals wegen niedrigerer Meeresspiegel enger und erlaubte zu Beginn der letzten Zwischeneiszeit sogar einen sicheren Durchgang. Zudem war zu dieser Zeit die arabische Halbinsel viel feuchter als heute. Sie hatte mehr Pflanzenwuchs und war von Seen und Flüssen durchzogen. Eine solche Landschaft hätte es den Frühmenschen erleichtert nach Arabien zu gelangen und von dort zum Fruchtbaren Halbmond und nach Indien, so die Forscher.
„Archäologie ohne Jahreszahlen ist wie ein Puzzle ohne klare Umrisslinien – man hat viele einzelne Teile mit Informationen, kann sie jedoch nicht zu einem Gesamtbild zusammensetzen“, sagte Armitage. „Bei Jebel Faya enthüllen die Jahreszahlen ein faszinierendes Bild davon, wie der moderne Mensch begünstigt durch globale Änderungen des Meeresspiegels und klimatische Änderungen auf der Arabischen Halbinsel viel früher als bisher angenommen von Afrika aus abwanderte.“
(American Association for the Advancement of Science, 28.01.2011 – NPO)