Verborgene Topografie: Unser Planet hat tief im Inneren ähnliche Berge und Täler wie an seiner Oberfläche. Denn die Grenze zwischen oberem und unterem Erdmantel ist überraschend uneben, wie seismische Analysen enthüllen. Die Übergangszone in 660 Kilometer Tiefe bildet demnach kleinräumige Rippel von einem bis drei Kilometer Größe, wie die Forscher im Fachmagazin „Science“ berichten.
Der Erdmantel wird oft als eher einförmige, rötliche Masse dargestellt. Doch diese Grafiken täuschen. Denn in Wirklichkeit gibt es innerhalb des Mantels mindestens zwei klar abgegrenzte Übergangszonen. In rund 410 Kilometern Tiefe wird das vorherrschende Mineral Olivin zu Wadsleyit und dem wasserhaltigen Ringwoodit. In 660 Kilometern Tiefe folgt die Grenze zwischen oberem und unterem Erdmantel – sie ist mit einer erneuten Umwandlung der Mineralstrukturen verknüpft.
Nur gewellt oder auch bergig?
Aber wie sieht diese Grenze zwischen oberem und unterem Mantel konkret aus? Ist sie eben oder besitzt sie ähnlich wie die Erdoberfläche eine Art Topografie? Erste Analysen hatten bereits ergeben, dass die Übergangszone vom oberen zum unteren Mantel tatsächlich um 30 bis 40 Kilometer in der Tiefe variiert. In sanften Wellen von hunderten bis tausenden Kilometern Länge zieht sich diese Grenze demnach rund um den Globus.
Doch ob es kleinräumigere Unebenheiten in Form von Bergen und Tälern gibt, war bisher unklar. „Die Tatsache, dass sowohl die Erdoberfläche als auch die Kerngrenze in Größenordnungen von tausend Kilometern bis hinunter zu Kilometern uneben ist, lässt erwarten, dass es Ähnliches auch an der 660-Kilometer-Diskontiniutät gibt“, erklären Wenbo Wu von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften in Wuhan und sein Team.
Primärwellen von Beben als „Röntgenstrahlen“
Auf der Suche nach solchen „Unebenheiten“ haben nun Wu und sein Team die Primärwellen besonders starker und tiefer Erdbeben analysiert. Denn deren Tempoveränderungen verraten, in welcher Tiefe es im Erdinneren Übergangszonen gibt. Durch die Analyse besonders kurzwelliger, durch das Erdinnere gestreuter P-Wellen gelang es den Forschern, die Grenze zwischen oberem und unterem Erdmantel erstmals bis auf wenige Kilometer genau seismisch abzutasten.
Das Ergebnis: Der Übergang zwischen oberem und unterem Erdmantel ist tatsächlich bergig. Die Topografie dieser Grenze weist in vielen Regionen ein bis drei Kilometer große Gipfel und Täler auf, wie die Forscher berichten. Diese Rauigkeit trete nicht nur im Umfeld von Subduktionszonen auf, wo Erdplatten bis tief in den Erdmantel gedrückt werden, sondern auch anderswo – wenn auch nicht überall.
Indiz für chemische Unterschiede
Das Spannende daran: Solche Berge und Täler können der Theorie nach nur dann entstehen und erhalten bleiben, wenn die Übergangszone im Erdmantel nicht nur auf Temperatur- und Druckunterschieden beruht. Stattdessen müssen diese Unebenheiten auch auf chemische Differenzen zurückgehen: „Eine solche kleinräumige Topografie der 660-Kilometer-Grenze lässt sich am ehesten durch chemische Faktoren erklären“, so Wu und seine Kollegen.
Interessant ist dies deshalb, weil solche chemischen Unterschiede zwischen oberem und unterem Mantel auch Rückschlüsse auf die Strömungen im Erdinneren erlauben. Denn bisher war unklar, ob die großen Konvektions-Strömungen den gesamten Erdmantel umfassen oder nicht. Die Existenz der „bergigen“ Grenze und der chemischen Unterschiede legt nun nahe, dass der untere Erdmantel offenbar nicht an diesen Strömungen teilnimmt, wie die Forscher erklären.
Relikte des Uranfangs
„Diese Ergebnisse können so dazu beitragen, fundamentale Fragen über die Entwicklung der Erde zu beantworten“, schreibt Christine Houser vom Tokio Institut für Technologie in einem begleitenden Kommentar. Denn wenn der unter Mantel nicht an der „großen Durchmischung“ teilnimmt, könnten in ihm noch Relikte aus der frühesten Anfangszeit unseres Planeten erhalten sein. (Science, 2019; doi: 10.1126/science.aav0822)
Quelle: Science