In die Rolle des Manipulators geschlüpft: Ein neues Online-Spiel enthüllt spielerisch die Tricks der Fake-News und Meinungsmacher – und wappnet so gegen reale Desinformationen. Im Spiel lernt der Nutzer nach und nach das „Handwerk“ der Manipulation. Der Clou dabei: Nach einem solchen Rollentausch sind die Spieler für Fake-News und Co sensibilisiert, wie ein Experiment zeigt. Das Online-Game wirke damit wie eine psychologische Impfung, so die Forscher.
Die Verbreitung von Falschinformationen und Verschwörungstheorien ist nichts Neues – das gab es schon im alten Ägypten. Heute jedoch machen Internet und soziale Medien es zunehmend schwerer, solche Fake-News von seriösen Informationen zu unterscheiden. Hinzu kommt, dass die Algorithmen von Facebook und Co durch ihren Echokammer-Effekt die selektive Wahrnehmung fördern.
Psychologische „Immunisierung“
Doch wie kann man sich wappnen? Ein ungewöhnliches Mittel gegen Fake-News haben nun Sander van der Linden von der University of Cambridge entwickelt. Basis ist die Theorie der psychologischen Impfung. Ähnlich wie bei der Schutzimpfung in der Medizin soll der Kontakt mit abgeschwächten oder offengelegten Manipulationen gegen echte Fake-News immunisieren.
So wie das menschliche Immunsystem lernt, Erreger künftig schneller zu erkennen, kann die Auseinandersetzung mit den Strategien hinter den Falschinformationen wachsamer machen: „Wir wollen damit helfen, ‚mentale Antikörper‘ zu entwickeln, die mehr Immunität gegen die schnelle Ausbreitung von Fake-News bieten“, sagt van der Linden. In einem früheren Experiment haben sie dieses Prinzip der „Impfung“ bereits durch abgeschwächte Fake-News erzielt. Jetzt aber entschieden sie sich für eine noch radikalere Methode.
Online-Game macht zum Meister-Manipulator
Konkret funktioniert dies so: Ein von den Forschern entwickeltes und frei im Netz verfügbares Online-Spiel versetzt Nutzer in die Rolle der Fake-News-Macher. Es gilt, Tweets, Blogs oder Nachrichten so zu manipulieren, dass sie möglichst effektiv Emotionen wecken, polarisieren und die Botschaften unter die Leute bringen. Basis aller im Spiel eingeübten und vorgestellten Techniken sind Analysen realer Filterblasen, viraler Fake-News und Verschwörungstheorien.
Vom System angestachelt, arbeiten sich die Nutzer durch verschiedenste Ebenen der Manipulation – von der Schaffung falscher Quellen, dem Einsatz von Bots und der Fälschung von Bildern und Meldungen bis hin zum Formulieren möglichst polarisierender, viraler Tweets. Das Spiel gibt jeweils Rückmeldung, wie gut dies funktioniert und leitet zu noch raffinierteren Methoden an. Für jeden Erfolg als Manipulator gibt es eine Auszeichnung.
Das Prinzip dahinter: „Wenn ich mich in jemanden hineinversetzt habe, der aktiv täuschen will, dann erhöht das meine Fähigkeit, solche Techniken des Täuschens zu erkennen und ihnen zu widerstehen“, erklärt van der Linden.
„Impfung“ funktioniert
Ob diese „Impfung“ funktioniert, haben die Forscher mit einer Vorversion des Online-Spiels bei 95 niederländischen Jugendlichen getestet. Im Experiment bekam die Hälfte der Schüler die Aufgabe, Fakten zu Flüchtlingen und Asylsuchenden zu manipulieren. Einige schlüpften dabei in die Rolle von Alarmisten, andere in die Rolle von Verschwörungstheoretikern oder sollten polarisierende Meldungen möglichst viral lancieren. Die restlichen Schüler waren nicht eingeweiht und dienten als Kontrollgruppe.
Am Schluss des Experiments bekamen alle Teilnehmer eine Auswahl von realen und gefakten News-Artikeln zu diesem Thema, die sie nun auf ihren Wahrheitsgehalt hin einschätzen sollten. Das Ergebnis: Diejenigen, die zuvor das Spiel absolviert hatten, waren deutlich misstrauischer und erkannten Fake-News besser als ihre Mitschüler aus der „ungeimpften“ Kontrollgruppe.
Gerade bei Jugendlichen wirksam
Nach Ansicht der Forscher sind solche Online-Spiele und ähnliche „Impfungen“ gegen Fake-News gerade bei Jugendlichen ein vielversprechender Ansatz: „Junge Menschen sind erst dabei, ihre Einstellungen zur Welt und ihre Meinungen zu entwickeln“, so die Wissenschaftler. „Daher kann gerade eine frühe Medienerziehung und ‚Impfung‘ helfen, Menschen gegen Desinformationen zu wappnen.“
Bei der jetzt ins Netz gestellten Version des Online-Games geht es nicht um konkrete Themen und Inhalte, sondern um die themenunabhängig wirkenden Taktiken der Manipulatoren. Das Spiel lässt sich aber auch auf konkrete Themen wie den Klimawandel, Flüchtlinge oder spezielle Verschwörungstheorien anpassen, wie die Forscher erklären. Sie planen bereits solche speziellen Versionen. (Journal of Risk Research, in press)
(University of Cambridge, 22.02.2018 – NPO)