Skurriler Effekt: In der Antarktis kommt nur ein Teil des Schneefalls am Boden an – der Rest verdampft noch in der Luft, wie nun eine Studie enthüllt. Das könnte erklären, warum es rund um den Südpol weniger schneit als es eigentlich müsste. Die Ursache für diese Sublimation des Schnees sind trockene, kalte Winde, die vom Polarplateau hinabwehen. Sobald die Schneeflocken in diese Luftschicht geraten, verdampfen sie, wie die Forscher herausfanden.
Eigentlich kennt man dieses Phänomen bisher vor allem vom Mars: Weil die Gashülle des Roten Planeten so dünn ist, verdampfen dort Wassereis und Schnee, ohne erst flüssig zu werden. Auch Schneeflocken kommen dadurch nur in Ausnahmefällen auf der Marsoberfläche an. Doch vor einigen Jahren entdeckten Forscher auch in der Ostantarktis etwas Ähnliches: Hier verschwindet vom Wind aufgewirbelter Schnee scheinbar spurlos – er löst sich im wahrsten Sinne des Wortes in Luft auf.
Nur 65 Prozent kommen unten an
Doch diese Sublimation geht in der Antarktis noch weiter als bisher gedacht, wie nun Alexis Berne von der Ecole Polytechnique Fédérale de Lausanne und ihre Kollegen herausgefunden haben. Sie hatten die Daten einer französischen Wetterstation an der Küste der Ostantarktis ausgewertet. Ein Wetterradar und ein sogenannter Radarprofiler zeichnen dort die Art, Intensität und vertikale Verteilung der Niederschläge auf. Schneemesser registrieren, wieviel davon am Boden ankommt.
Die Messungen enthüllten Überraschendes: Von dem Schnee, der über der Ostantarktis aus den Wolken fällt, kommen nur rund 65 Prozent am Boden an. In der gesamten Antarktis verschwinden im Mittel rund 17 Prozent des Schnees irgendwo zwischen Wolke und Erdoberfläche, wie die Forscher berichten. Damit geht ein auch für sie überraschend großer Anteil der Niederschläge verloren, bevor er zu Boden fallen kann.
Sublimation in trockener Luftschicht
Wo aber bleibt dieser Schnee? Als die Forscher die antarktischen Wetterbedingungen in einem Modell nachbildeten, stießen sie auf eine Besonderheit: Zu vielen Zeiten im Jahr wehen starke Fallwinde von dem bis zu 3.000 Meter hohen Südpolplateau bis in die Küstenniederungen hinab. Diese katabatischen Winde sind nicht nur kalt, sondern auch extrem trocken, wie Berne und seine Kollegen erklären.
Dadurch entsteht in Höhen zwischen rund 300 Meter und einem Kilometer Höhe eine extrem trockene Luftschicht. „Diese Luftschicht ist wegen der vielen Echos vom Boden für Satelliten eine blinde Zone“, erklärt Berne. „Das erklärt, warum dieses Phänomen bisher in Satellitendaten nicht entdeckt werden konnte.“ Wenn nun Schneeflocken auf ihrem Weg nach unten diese Luftschicht passieren, führt die Trockenheit dazu, dass der Schnee sublimiert: Er wird zu Wasserdampf, ohne zuvor flüssig geworden zu sein.
Wichtig auch für Klimaprognosen
Diese bisher unentdeckte Sublimation könnte nicht nur erklären, warum es in einigen Gebieten der Antarktis weniger schneit als es eigentlich sollte. Die neuen Erkenntnisse müssen nun auch in die Klimamodelle einbezogen werden, wie die Forscher betonen. Denn dieser „verschwundene“ Schneefall ist auch wichtig Prognosen der Entwicklung der antarktischen Gletscher. „Wir hoffen, dass unsere Arbeit dazu beitragen wird, besser zu verstehen, wie der Klimawandel die Niederschläge in der Antarktis beeinflussen wird“, sagt Berne. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2017; doi: 10.1073/pnas.1707633114)
(Ecole Polytechnique Fédérale de Lausanne, 26.09.2017 – NPO)