Gesellschaft

Interaktive Karte zeigt mittelalterliche Mordfälle

Oxford war vor 700 Jahren die Mordhauptstadt Englands

Mord im Mittelalter
Mord in einer mittelalterlichen Darstellung. Wie oft Mord und Totschlag im Mittelalter in London, Oxford und York vorkamen und wer dabei wen tötete, zeigt nun eine interaktive Karte. © historisch

Mord und Totschlag: Die Universitätsstadt Oxford war im Mittelalter ein gefährliches Pflaster – nirgendwo sonst in England gab es mehr Morde und Gewalttaten, wie ein interaktiver Mordatlas enthüllt. Demnach lag die Mordrate in Oxford damals bei 60 bis 75 Fällen pro 100.000 Einwohner, das ist 50-Mal höher als in heutigen Großstädten Englands und fünfmal höher als im damaligen London. Wie die Opfer vor rund 700 Jahren zu Tode kamen und wer schuld war, enthüllt nun eine interaktive Karte auf Basis historischer Gerichtsdokumente.

Im Mittelalter war man nicht zimperlich: Persönliche Konflikte wurden oft mit Waffen ausgetragen und auch Fehden zwischen verschiedenen Gruppierungen endeten oft in Gewalt. „Messer waren in der mittelalterlichen Gesellschaft allgegenwärtig“, erklärt die Historikerin Stephanie Brown von der University of Cambridge. Fast jeder besaß ein kleines, billiges Messer, das beim Essen und für andere alltägliche Zwecke genutzt wurde. „Viele Männer trugen zudem Stöcke und Äxte gab es in den Haushalten zum Holzhacken.“ Kein Wunder also, dass Gewalt in den Straßen des Mittelalters an der Tagesordnung war.

BEricht eines Leichenbeschauers
Bericht eines Londoner Leichenbeschauers aus dem Jahr 1315/1316, in dem der Todesfall eines Hervey de Playford geschildert wird. © University of Cambridge / historisch

Leichenbeschauer-Berichte als Zeitzeugnisse

Wie häufig Morde und andere Gewalttaten in den drei größten Städten des mittelalterlichen Englands vorkamen und welche Taten dies waren, zeigt nun eine interaktive Mordkarte, die das Team um Brown und ihre Kollegen Manuel Eisner zusammengestellt hat. Basis dieser „Murder Map“ sind Aufzeichnungen von Gerichtsmedizinern aus dem 14. Jahrhundert, deren Aufgabe es damals war, Todesfälle zu untersuchen und zu dokumentieren.

“Wenn im spätmittelalterlichen England ein mutmaßliches Mordopfer gefunden wurde, wurde der Leichenbeschauer gerufen“, erklärt Eisner. Bestätigte sich der Verdacht auf eine Gewalttat, berief der Bezirksvorsteher eine Jury ein, um den Fall näher zu untersuchen. „Ihre Aufgabe war es dann, durch Anhörung von Zeugen den Hergang der Ereignisse zu rekonstruieren, Beweise zu sammeln und dann einen Verdächtigen zu benennen. Die Anklagen wurden vom Schreiber des Leichenbeschauers aufgezeichnet.“

Interaktive „Murder Map“ für London, Oxford und York

Jetzt hat das Historikerteam auf Basis solcher Berichte einen Atlas von insgesamt 354 mittelalterlichen Morden in den drei Städten London, York und Oxford zusammengestellt und im Internet als interaktive Karten veröffentlicht. Zu jedem Mordfall erscheint auf Klick eine „Fallakte“, die den Tathergang, die Umstände und Täter näher erläutert. Zusätzlich werden neben eindeutigen Morden auch einige Unfälle und ungeklärte Tode gelistet. Einige Mordfälle sind auch in Audiofiles beschrieben.

Das Überraschende dabei: Anders als man denken könnte, war die englische Hauptstadt London im 14. Jahrhundert nicht die Stadt mit der höchsten Mordrate. Stattdessen lag Oxford mit Abstand vorn, wie die Forschenden berichten: Mit 60 bis 75 Mordfällen pro 100.000 Einwohnern lag die Mordrate in Oxford um das Vier- bis Fünffache über der von London oder York – und um das 50-Fache über der Mordrate der heutigen Großstädte in Großbritannien.

Miurder Map
Ausschnitt aus der interaktiven „Murder Map“ für das mittelalterliche Oxford. © University of Cambridge

Toxische Mischung aggressiver Jungmänner

Doch was machte ausgerechnet das eher kleine Oxford so tödlich? Eine Erklärung sehen Eisner und Brown darin, dass Oxford schon vor 700 Jahren eine bedeutende Universitätsstadt war. Von den rund 7.000 Einwohnern waren damals 1.500 Studenten. Und diese waren überproportional häufig an Gewalttaten beteiligt: Drei Viertel aller Täter hatten den historischen Berichten zufolge einen „klerikalen“ Hintergrund und waren demnach Studenten. Gleiches galt für 72 Prozent aller Opfer, wie das Team berichtet.

„Eine mittelalterliche Universitätsstadt wie Oxford schuf eine tödliche Mischung von Bedingungen. Denn die Studenten waren alle männlich und im Alter zwischen 14 und 21 Jahren – auf dem Höhepunkt der männlichen Gewalt- und Risikobereitschaft“, erklärt Eisner. Als Studenten hatten diese jungen Männer nun plötzlich weit mehr Freiheiten als zuvor: „Sie waren von der strikten Kontrolle ihrer Familien, Kirchengemeinden und Gilden befreit und gerieten nun in ein Umfeld voller Waffen und leichtem Zugang zu Wirtshäusern und Prostituierten“, so Eisner.

Straßenschlachten, Messerstechereien und Prügeleien

Ein typisches Beispiel für gewaltsame Todesfälle unter Studenten ist beispielweise ein Streit, der in einer Dienstagnacht in einer Taverne in der Oxford High Street ausbrach. Der Streit eskalierte und entwickelte sich zu einer Straßenschlacht, die mit Schwertern und Äxte ausgetragen wurde. „Neben solchen Kämpfen zwischen Studenten und Stadtbewohnern gab es auch viele Konflikte innerhalb rivalisierender Studentengruppen“, erklärt Eisner.

So gab es damals bereits Studentenverbindungen, die sich bekämpften, aber auch unterschiedliche regionale Herkünfte der Studenten führten oft zu gewaltsamen Konflikten, wie die Leichenbeschauer-Dokumente bezeugen. So wurde im Frühjahr 1303 der Student Adam de Sarum auf der Straße umgebracht, als ihn drei irische Studenten überfielen und durch Messerstiche in Hals und Kopf töteten. Kurz zuvor attackierten zwei Studenten aus Wales einige Kommilitonen. Ein Unbeteiligter, der eingreifen wollte, wurde dabei zu Tode geprügelt.

Selbst Beamte wie Polizisten oder Bezirksverwalter waren vor der allgegenwärtigen Gewalt nicht sicher, wie die Berichte dokumentieren. Dennoch: „Das Leben in den mittelalterlichen Ballungsräumen war rau, aber keineswegs gesetzlos“, betont Eisner. „Die Menschen kannten ihre Rechte und beriefen sich auf das Gesetz, wenn es Konflikte gab. Allerdings kam dies für viele zu spät.“

Quelle: University of Cambridge, Medieval Murder Map

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