Endlich geschafft: Nach langen, zähen Verhandlungen haben sich die UN-Mitgliedsstaaten nun auf ein Hochseeabkommen geeinigt. Dieses schafft einen rechtlichen Rahmen für den Schutz von 30 Prozent der internationalen Gewässer und der Tiefsee bis 2030. Beschlossen wurde unter anderem, dass für neue Schutzgebiete künftig eine Dreiviertelmehrheit statt des Konsens reicht. Außerdem werden für alle Aktivitäten auf Hoher See Umweltverträglichkeitsprüfungen sowie Ausgleichszahlungen für die Nutzung mariner Ressourcen eingeführt.
Mehr als 60 Prozent der Weltmeere und 95 Prozent ihres Volumens gehören zur Hohen See: Diese Gebiete liegen jenseits der ausschließlichen Wirtschaftszonen, die bis 370 Kilometer vor der Küste reichen und gelten als internationale Gewässern. Damit war die Hochsee bisher ein weitgehend rechtsfreier, kaum geschützter Raum. Nur rund ein Prozent der Hochsee war bisher als Schutzgebiet ausgewiesen.
Zwar gibt es Abkommen und Gremien für verschiedene Teile der Weltmeere wie den Antarktisvertrag oder für spezielle Nutzungen wie den Walfang oder den Tiefseebergbau. Doch Beschlüsse in diesen Gremien erforderten meist einen Konsens der Mitgliedstaaten, was einzelnen Ländern die Möglichkeit einer Blockade zugunsten eigener Interessen gab. Im Dezember 2022 wurde beim UN-Biodiversitätsgipfel beschlossen, dass bis 2030 mindestens 30 Prozent der Hohen See unter Schutz gestellt werden sollen. Ohne ein verbindliches Abkommen zum Schutz der Hohen See standen die Chancen auf eine Umsetzung jedoch schlecht.
Rechtlicher Rahmen für den Schutz der Hohen See
Am Samstag, 4. März 2023, ist es nun endlich, nach 20 Jahren des Verhandelns und Aufschiebens gelungen: Bei der Konferenz zum Schutz der Hochsee in New York haben sich die Mitgliedstaaten der UN auf den vorläufigen Vertragstext für das Hochseeabkommen geeinigt. Der endgültige Text wird nun noch einmal formell überarbeitet und in die Amtssprachen übersetzt. Dann erfolgt die formelle Annahme durch die Mitgliedsstaaten. Inhaltliche Änderungen oder Nachverhandlungen soll es aber nicht mehr geben, wie die Konferenzleitung mitteilte.
Das Abkommen schafft damit nun einen rechtlichen Rahmen für den Schutz der Hohen See und damit auch die Voraussetzung, um den Beschluss vom Dezember 2022 umzusetzen. „Dies ist ein historischer Tag für den Naturschutz und ein Zeichen, dass selbst in dieser gespaltenen Welt der Schutz der Natur und des Menschen über die Geopolitik triumphieren kann“, kommentiert Laura Meller von Greenpeace Nordic. “Wir begrüßen sehr, dass mit diesem Vertrag die Einrichtung von Schutzgebieten auf der Hohen See, dem größten Lebensraum der Erde, beginnen kann“, sagte auch Fabienne McLellan, Geschäftsführerin der Meeresschutzorganisation OceanCare.
Künftig entscheidet Mehrheit statt Konsens
Als wichtiger Erfolg gilt der Beschluss, dass viele Entscheidungen, darunter auch die Ausweisung neuer Schutzgebiete, künftig nicht mehr im Konsensprinzip, sondern mit einer Dreiviertelmehrheit getroffen werden können. „Solche Beschlüsse können also nicht mehr durch ein oder zwei Staaten blockiert werden, was seit vielen Jahren den Fortschritt in der Ausweisung von antarktischen Meeresschutzgebieten verhindert hat“, erklärt Stefan Hain vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven.
Ähnlich wie beim Klimaschutz oder der Biodiversität wird es zudem künftig eine jährliche Vertragsstaatenkonferenz geben, in der konkrete Maßnahmen zum Schutz und der nachhaltigen Nutzung der Hohen See und der Tiefsee verhandelt und beschlossen werden. Die Mitgliedsstaaten verpflichten sich im neuen Abkommen zudem zu einer umfangreichen Berichterstattung, was die Transparenz und die Nachvollziehbarkeit von Maßnahmen und der Einhaltung der Regeln erhöht.
Umweltverträglichkeitsprüfungen für Hochseeaktivitäten
„Ein weiterer, wichtiger Erfolg ist, dass unter dem neuen Abkommen verbindliche Umweltverträglichkeitsprüfungen für alle Aktivitäten eingeführt werden, die wesentlichen Einfluss auf die Meeresumwelt der Hohen See haben“, erklärt Hain. „Dieses Verhandlungsergebnis führt zu höheren Umweltschutzstandards und konkreteren Regeln als sie bereits jetzt im Seerechtsübereinkommen enthalten sind.“
Ähnlich sieht es Johannes Müller von Ocean Care: „Umweltverträglichkeitsprüfungen sind einer der wirksamsten Hebel im Meeresschutz. Denn effektiver Meeresschutz braucht ein striktes Management grenzüberschreitender Verschmutzung mit global verbindlichen Regeln, um die Ausbeutung der Ozeane zu verhindern.“
Ausgleich für Nutzung mariner Ressourcen
Ein weiterer, bis zuletzt heiß umstrittener Punkt ist ein Ausgleich für die Nutzung mariner Ressourcen. Dazu gehören beispielsweise der Abbau mineralischer Rohstoffe vom Meeresgrund, aber auch die Erforschung und Nutzung biologischer und genetischer Ressourcen beispielsweise zur Gewinnung neuer medizinischer Wirkstoffe. Weil Entwicklungsländer meist nicht die Technologie und Mittel haben, diese Ressourcen zu nutzen, sollen sie einen entsprechenden finanziellen Ausgleich erhalten.
„Der mühsam ausgehandelte Kompromiss sieht vor, dass nach Inkrafttreten des Abkommens eine jährliche Pauschalzahlung seitens der Industrieländer geleistet wird, die dem erforderlichen Kapazitätsaufbau der Entwicklungsländer für die Zwecke des Abkommens zugutekommen wird“, so Hain. „Ein guter Rückhalt des neuen Abkommens in der internationalen Staatengemeinschaft ist für den langfristigen Erfolg des neuen Abkommen enorm wichtig.“
„Erst der Anfang“
Doch das neue Hochseeabkommen ist erst der Startschuss, die eigentliche Arbeit beginnt jetzt erst: „Häufig ist die Umsetzung die Achillesferse solcher neuen internationalen Übereinkommen. Ohne eine gute Umsetzung auf internationaler und nationaler Ebene bleiben die Formulierungen in dem neuen Abkommen gute Vorsätze, aber in der Realität ändert sich am Schutz der Hohen See wenig“, betont AWI-Forscher Hain. Positiv sei aber, dass die EU und einige andere UN-Mitglieder schon im Vorfeld angekündigt haben, die Umsetzung des neuen Abkommens mit finanziellen Mitteln zu unterstützen.
„Das schafft die Voraussetzung, dass das neue Abkommen nicht zu einem Papiertiger wird“, so Hain. „Mit dem neuen Abkommen und den Gremien, die unter diesem Abkommen eingerichtet werden sollen, gibt es nun zum ersten Mal konkrete Anlaufstellen und Prozesse, in denen der Schutz der Hohen See gezielt behandelt werden kann – das ist für mich der größte Erfolg.“
Regelung des Tiefseebergbaus ist als Nächstes dran
Am Dienstag, dem 7. März 2023, könnte eine weitere wichtige Weiche für den Meeresschutz gestellt werden. Denn dann beginnt ein Treffen der Internationalen Meeresbodenbehörde in Jamaika. Bei diesem Treffen sollen Regeln für den Tiefseebergbau erarbeitet werden – einer ebenfalls stark umstrittenen und für die Meeresumwelt potenziell bedrohlichen Ausbeutung mariner Ressourcen. Schaffen es die Gremiumsmitglieder nicht, sich bis Juli 2023 auf Regeln zu einigen, müssen Anträge von Unternehmen vorläufig genehmigt werden.
Quelle: High Seas Alliance, Science Media Center, OceanCare