Heute hat der Weltklimarat IPCC seinen Sonderbericht zum 1,5-Grad Klimaziel veröffentlicht. Der Tenor des Berichts: Es eilt! Um die Erderwärmung deutlich unter zwei Grad Celsius zu halten, sind schnelle und drastische Maßnahmen gefordert, so das Fazit der Wissenschaft. Astrid Kiendler-Scharr, Leiterin des Instituts für Energie- und Klimaforschung am Forschungszentrum Jülich, hat als Gutachterin am Bericht mitgearbeitet. Sie gibt im Interview ihre Einschätzung.
Was war Ihre Motivation am IPCC-Sonderbericht zum 1,5-Grad Ziel als Gutachterin mitzuarbeiten?
Kiendler-Scharr: Was mich motiviert, ist die Überzeugung, dass wir mit der Klimafrage eine riesige Herausforderung zu lösen haben. Wir dürfen nicht immer nur in einzelnen Publikationen denken und hoffen, dass die Ergebnisse schon irgendwie zusammen finden. Daher sind die Berichte des IPCC so wichtig, weil sie das Wissen der weltweiten Forschergemeinschaft zum Klimageschehen bündeln. So werden der Politik die wissenschaftlichen Fakten zur Verfügung gestellt, um dann die entsprechenden Entscheidungen treffen zu können.
Im Pariser Klimaabkommen hat sich die internationale Staatengemeinschaft darauf geeinigt, die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad, möglichst auf 1,5 Grad, zu begrenzen. Ist das überhaupt noch möglich?
Kiendler-Scharr: Um dieses ehrgeizige Ziel zu erreichen, brauchen wir einen starken Wechsel der Energietechnologie, hin zu den erneuerbaren Energiequellen. Dass Kohle und andere fossile Energieträger für das Klima nicht zuträglich sind, ist – zumindest in Deutschland und der Mehrzahl der anderen Nationen – völlig unbestritten. Trotzdem ist die Dringlichkeit, mit der Maßnahmen zum Klimaschutz ergriffen werden müssten, der Politik und einer breiteren Öffentlichkeit noch nicht klar, oder die notwendigen Schritte wurden bisher nicht umgesetzt.
Ist denn die 1,5-Grad Frage die richtige, um einen effektiveren Klimaschutz zu erwirken?
Kiendler-Scharr: Sich ein Temperaturziel zu setzen, ist in jedem Fall ein Paradigmenwechsel, der beim Klimaabkommen von Paris vereinbart wurde. Zuvor wurde die Klimafrage ja von der Emissionsseite her diskutiert: welche Konzentrationen von welchen Treibhausgasen darf man noch emittieren, bis ein bestimmtes Limit überschritten ist. Diese Klimaziele und deren Umsetzung waren aber offensichtlich keine Erfolgsstory.
Bis 2020 sollen zum Beispiel die Emissionen von Deutschland um 40 Prozent sinken, gegenüber den Werten von 1990. Dies wird jetzt, 2018, schwierig zu erreichen sein. Es bleibt abzuwarten, ob das Temperaturziel ein stärkerer Aspekt ist, um tatsächlich verpflichtende Maßnahmen zu ergreifen – oder ob es als politischer Ausweg gesehen wird, Klima- oder Emissionsziele beiseite schieben zu können.
Und wie wirkt sich der Paradigmenwechsel auf die Forschung aus?
Kiendler-Scharr: Es gibt eindeutig eine gesteigerte Erwartungshaltung gegenüber der Wissenschaft. Sie muss nun klare Aussagen treffen, welche atmosphärische Zusammensetzung, welche Treibhausgas- und Luftschadstoffkonzentrationen mit welcher Temperaturerhöhung verbunden ist. Dadurch erhalten Details mehr Aufmerksamkeit, wie zum Beispiel die Auswirkungen von langlebigen Treibhausgasen und kurzlebigen Klimatreibern. Alle aktuellen Berechnungen zeigen beispielsweise, dass wir CO2 aktiv aus der Atmosphäre herausnehmen müssen, um eine Temperaturerhöhung von über 1,5 Grad zu vermeiden.
Wieso das?
Kiendler-Scharr: CO2 gehört zu den langlebigen Treibhausgasen. Wenn es einmal in der Atmosphäre ist, dann verbleibt es so gut wie für immer dort. Selbst wenn man heute die CO2 Emissionen auf Null fahren könnte, würden die natürlichen Senken, wie Wälder und Ozeane, bei weitem nicht ausreichen, um den CO2 Anteil in wenigen Jahrzehnten deutlich zu reduzieren. Anders sieht es da mit den kurzlebigen Spurengasen und Luftschadstoffen aus.
Welche Rolle spielen diese kurzlebigen Stoffe im Klimageschehen?
Kiendler-Scharr: Kurzlebige Klimatreiber, das sind zum Beispiel atmosphärisches Ozon oder Aerosole, also Schwebeteilchen, haben eine klar begrenzte Aufenthaltszeit in der Atmosphäre. Wenn man das 1,5 oder 2-Grad Ziel erreichen möchte, muss man sich massiv diesen kurzlebigen Stoffen zuwenden. Bodennahes Ozon wird durch anthropogene Luftschadstoffe gebildet. Es ist nicht nur schädlich für Mensch und Umwelt, sondern auch ein starkes Treibhausgas. Maßnahmen zur Luftqualitätsverbesserung haben hier also einen direkten Effekt auf das Klima.
Gelten Aerosole nicht als kühlend für das Klima?
Kiendler-Scharr: Ja und nein. Bei Aerosolen ist die Sachlage kompliziert. Die Gesamtheit aller Aerosole führt netto zu einer Kühlung, manche Aerosoltypen wie etwa Ruß können aber auch wärmend wirken. Gleichzeitig wirken sie als Wolkenkeime. Wolken wiederum haben je nach Zusammensetzung, Tageszeit und Höhenlage einen kühlenden oder wärmenden Effekt. Wenn wir diese komplexen Zusammenhänge besser verstehen, gibt es die Chance in naher Zukunft Erfolge im Klimageschehen zu erzielen. Dieses Wissen wiederum könnte man als Übergangsphase nutzen, bis die Reduktion von CO2 weiter fortgeschritten ist.
Was muss denn nun kurzfristig geschehen?
Kiendler-Scharr: Alle Prozesse, die Treibhausgase ansteigen lassen, sollten möglichst minimiert werden. Das umfasst zum Beispiel die industrielle Produktion, die Landwirtschaft oder die Nutzviehhaltung. Gerade in den entwickelten Ländern ist eine grundsätzliche Änderung unserer Lebensweise notwendig. Wir müssen uns gut fühlen, wenn wir in allen Bereichen nachhaltig handeln. Dies verlangt ein neues Bewusstsein für unseren Lebensstil basierend auf Wissen und Gewissen. Politisch führt ein gangbarer Weg meist über Förderungen oder steuerlichen Vergünstigungen: Radwege, öffentlicher Nahverkehr, Speicher für die erneuerbaren Energien – das sind Projekte wo die Politik aktiv werden und Klimaschutz damit für jeden einzelnen attraktiver machen kann.
Wird der nun vorliegende 1,5-Grad Sonderbericht den Druck auf die Politik erhöhen?
Kiendler-Scharr: Zunächst einmal gilt es festzuhalten, dass der Bericht von Seiten der Politik angefordert wurde. Damit hat die Wissenschaft die Chance, in einen sehr direkten Dialog mit der Politik zu treten. Aus meiner Sicht gibt der Sonderbericht die aktuelle wissenschaftliche Sachstandslage zur globalen Erwärmung und den daraus folgenden Klimaeffekten sehr gut wieder. Er ist insgesamt ein beeindruckendes Beispiel für das weltweite Zusammenwirken der Wissenschaftscommunity.
Es ist jedoch nicht die Aufgabe der Forschung, Politik zu betreiben. Und das ist auch gut so. Die Wissenschaft hat die Fakten vorgelegt und die Konsequenzen aufgezeigt – die Politik muss nun entscheiden, wie entsprechende Lösungen herbeigeführt werden können – sei es durch Förderung von erneuerbaren Energiequellen und deren Speicherung oder auch die aktive Reduktion von CO2 aus der Atmosphäre. Es reicht jedenfalls nicht, einmal im Leben einen Baum zu pflanzen.
Das Interview führte Brigitte Stahl-Busse vom FZ Jülich.
(Forschungszentrum Jülich, 08.10.2018 – NPO)