Unsichtbare Verbindung: Es war kein Zufall, dass Mittelitalien im Jahr 2016 dreimal hintereinander von einem starken Erdbeben getroffen wurde. Denn wie Forscher jetzt entdeckt haben, gingen sie auf ein gemeinsames Netzwerk sich kreuzender Verwerfungen zurück. Dieses sorgte dafür, dass sich die gesamte Spannung nicht auf einmal entlud, führte aber gleichzeitig zu einer möglicherweise vorhersehbaren Kettenreaktion, wie die Wissenschaftler berichten.
Das Jahr 2016 war für Mittelitalien ein Katastrophenjahr, denn gleich dreimal wurde die Region von starken Erdbeben getroffen. Erst zerstörten Erdstöße der Magnitude 6 am 24. August 2016 die Stadt Armatrice, rund zwei Monate später bebte die Erde dann in der Umgebung von Visso und Norcia. Diese Erdbeben erreichten sogar Magnituden von 6,1 und 6,6. Begleitet wurden die Erdstöße von tausenden von Nachbeben. Durch die Bebenserie starben in Mittelitalien mehr als 300 Menschen, tausende Häuser wurden beschädigt.
Aufgereiht an einer Verwerfung
Schon bald nach den Erdbeben war klar, dass sich alle drei entlang der selben tektonischen Verwerfung ereignet hatten. Diese durchzieht den Gebirgszug des Apennin von Südwesten nach Nordosten und hat ihren Ursprung in der Plattenbewegung dieser Region. Weil die Adria-Mikroplatte nach Westen gedrückt wird, schiebt sie sich in Mittelitalien unter den Apennin.
Doch warum lösten diese Bewegungen gleich eine ganze Serie an Erdbeben aus? „Das ist eine der großen Fragen der Erdbebenforschung: Warum bricht manch ein großes Verwerfungssystem in einem einzigen Starkbeben auf ganzer Länge, ein anderes dagegen erzeugt mehrfache Beben über Monate und Jahre hinweg?“, sagt Richard Walters von der Durham University. Was in Mittelitalien hinter der Bebenserie steckte, haben er und seine Kollegen nun mithilfe von Messungen vor Ort und Satellitendaten aufgeklärt
Fatale Kettenreaktion
Das überraschende Ergebnis: Die Abfolge der Beben und sogar ihr Zeitpunkt war kein Zufall – und möglicherweise zum Teil vorhergesehen werden können. „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass wir zwar nicht vorhersehen konnten, wann diese Erdbebenserie starten würde“, so Walters. „Als sie aber einmal lief, wurden sowohl das Ausmaß als auch das Timing der nächsten beiden großen Beben durch die Anordnung der Verwerfungen vorherbestimmt.“
Besonders auffällig war dies bei Armatrice und dem im Herbst folgenden Beben von Visso: Nach dem ersten Erdbeben in Armatrice gab es tausende von Nachbeben, deren Epizentren sich im Laufe der folgenden Woche stetig weiter nach Norden bewegten. Mit rund 100 Metern pro Tag bewegten sich diese Nachbeben, angetrieben von Flüssigkeitsbewegungen im Untergrund, entlang kleinerer tektonischer Störungen auf Visso zu. Als sie dort die Hauptverwerfung erreichten, lösten sie das Erdbeben aus.
Dieses Beben wiederum führte zu abrupten Spannungsänderungen im Untergrund, die sich über Nebenverwerfungen zurück bis nach Norcia übertrugen. Dort riss dann vier Tage später ein zuvor noch ganz gebliebener Abschnitt der Hauptverwerfung auf, wie die Forscher berichten
Kreuzungen als Stellglieder
Welche Rolle die tektonische Struktur für diese Abfolge spielte, haben die Wissenschaftler mithilfe ihrer Messdaten ebenfalls rekonstruiert. Dabei zeigte sich: Die Hauptverwerfung unter dem Apennin wird von zahlreichen kleineren Störungen gekreuzt. „Die Kreuzungen zwischen der Haupt- und den Nebenverwerfungen kontrollieren das Ausmaß und auch das Ende jedes Ereignisses in dieser Serie“, erklären Forscher.
Konkret bedeutet dies: Fehlen solche Kreuzungen, kann eine Verwerfung auf ganzer Länge aufreißen – die Spannung entlädt sich in einem einzigen Starkbeben. Kreuzen aber wie in Mittelitalien immer wieder kleinere Brüche die Verwerfung, wirken sie wie ein Stopper: Der Untergrund bricht immer nur bis zur nächsten Kreuzung auf. Der nächste Abschnitt reißt dann, wenn die Spannung auf ihn übertragen wird – beispielsweise durch kleinere Nebenstörungen, die den Druck an der Kreuzung vorbei weiterleiten.
Künftig besser vorhersagbar?
„Es ist eine große Überraschung, dass solche relativ kleinen Verwerfungen einen so großen Einfluss auf die gesamte Bebensequenz haben können“, sagt Walters. Genau das war auch in Mittelitalien der Fall: „Diese Kreuzungen stoppten das erste Erdbeben in seiner Ausbreitung und leiteten dann die Flüssigkeiten im Untergrund weiter, die dann die Sequenz zwei Monate später weitergehen ließen“, erklärt der Forscher.
Diese Erkenntnisse sind für die Vorhersage von Erdbebenrisiken von großer Bedeutung, wie die Wissenschaftler betonen. Denn durch sie könnten sich künftige Bebenserien möglicherweise besser vorhersagen lassen. „Das sind alles Informationen, die wir im Prinzip schon vor einem Ereignis haben“, sagt Walters. „Daher könnte dies dabei helfen, künftige Prognosen zu verbessern.“ (Earth and Planetary Science Letters, 2018; doi: 10.1016/j.epsl.2018.07.043)
(Durham University, 27.08.2018 – NPO)