Von wegen Männersache: Bei frühen Jägern und Sammlern gingen keineswegs nur Männer auf die Jagd, sondern zu fast gleichen Teilen auch Frauen. Grabbeigaben im nacheiszeitlichen Nord- und Südamerika legen nahe, dass 30 bis 50 Prozent der Großwildjäger damals weiblich waren. Die Beschaffung von Fleisch und anderer Nahrung könnte demnach bei unseren Vorfahren weit weniger geschlechtsspezifisch aufgeteilt gewesen sein als bislang angenommen.
Bisher schien das Bild klar: In steinzeitlichen Jäger-und-Sammler-Gesellschaften kümmerten sich die Frauen um die Kinder, das Sammeln pflanzlicher Nahrung und die Essenszubereitung. Die Männer dagegen gingen auf die Jagd nach Großwild und trugen Kämpfe zwischen den Gruppen aus. Dafür schienen unter anderem Grabeigaben von Speerspitzen und anderen Jagdwaffen in vielen Gräbern männlicher Toter zu sprechen.
Auch viele heutige Naturvölker praktizieren eine solche Arbeitsteilung: „Die Lebensweise von modernen Jäger-und-Sammler-Kulturen ist hochgradig gegendert – was dazu verleitet, dies als irgendwie ’natürlich‘ anzusehen“, erklärt Randall Haas von der University of California in Davis. Auch in der Anthropologie und Archäologie ging man daher bislang davon aus, dass Frauen in Steinzeitkulturen schon wegen der Schwangerschaft und Kinderversorgung eher im Lager blieben.
Zwei Tote mit Jagd-Utensilien
Doch diese Annahme ist wahrscheinlich falsch, wie Haas und sein Team herausgefunden haben. Den ersten Anstoß gab ein Fund auf einer Hochebene im Süden Perus. Dort entdeckten sie neben tausenden von Steinwerkzeugen und Tierknochen auch die Gräber einiger Menschen. Zwei der rund 9.000 Jahre alten Toten waren zusammen mit Werkzeugen und Waffen bestattet worden, die typischerweise Jägern mit ins Grab gegeben wurden: Messer, Schaber und verschiedene Klingen.
„Die Artefakte umfassen die volle Spanne der für die Großwildjagd und die Verarbeitung der Beute nötigen Werkzeuge“, berichten die Archäologen. Die Jagdwerkzeuge lagen vermutlich einst in einem Lederbeutel, der im Laufe der Jahrtausende zerfallen ist. Knochen von Andenhirschen (Hippocamelus antisensis) im Umfeld dieser Gräber legen nahe, dass damals vor allem diese Huftiere von Menschen der Hochebene gejagt wurden.
Eine Frau als Großwildjägerin
Das Überraschende jedoch: Einer der beiden steinzeitlichen Großwildjäger war eine junge Frau, wie Statur, Knochenzustand und Proteinanalysen enthüllten. Zumindest in dieser Gruppe von frühen Jägern und Sammlern schienen demnach auch Frauen die Aufgabe der Jägerin zu übernehmen. „Diese Beobachtung weckt die Frage, ob diese Jägerin eine isolierte Ausnahme war oder Teil eines weiterverbreiteten Verhaltensmusters“, schreiben Haas und seine Kollegen.
Um das herauszufinden, haben die Archäologen Daten zu 429 eiszeitlichen und nacheiszeitlichen Toten aus 107 Fundorten in Nord- und Südamerika noch einmal genauer geprüft. Dabei zeigte sich: Von den 27 Individuen, die klar als Jäger zu erkennen waren und deren Geschlecht bestimmt werden konnte, waren zehn weiblich und 15 männlich. Zusammen mit den beiden Funden aus dem peruanischen Wilamaya Patjxa ergibt dies ein Frau-zu-Mann-Verhältnis von elf zu 16.
Dogma vom Mann als Jäger widerlegt
Nach Ansicht von Haas und seinem Team ist schon diese Stichprobe ausreichend, um das Dogma der steinzeitlichen Großwildjagd als reiner Männersache zu stürzen. „Der Frauenanteil bei den Großwildjägern war damals keineswegs vernachlässigbar“, konstatieren sie. Sie schätzen, dass im nacheiszeitlichen Nord- und Südamerika zwischen 30 und 50 Prozent aller Jäger weiblich waren. „Das spricht dafür, dass die frühe Jagd nahezu genderneutral war“, so die Archäologen.
Vermutlich waren es vor allem sehr junge Frauen, die damals ähnlich wie die jungen Männer an den Jagden teilnahmen. Diese Beteiligung beider Geschlechter vergrößerte die Jagdtrupps und erleichterte so vermutlich den Beutefang. „Theoretische Studien legen nahe, dass die ökologischen Bedingungen vieler früher Jäger-und-Sammler-Gesellschaften die Gruppen begünstigten, in denen Männer und Frauen für die Jagd zur Verfügung standen“, erklären die Archäologen.
„Die archäologischen Funde widerlegen die lange gehegte Vorstellung vom Mann als Jäger“, sagt Haas. „Es scheint nun klar, dass die Arbeitsteilung der Geschlechter bei unseren Jäger-und-Sammler-Vorfahren fundamental anders – und wahrscheinlich gleichberechtigter – war als heute.“ Unklar ist allerdings bislang, inwieweit dies auch für Kulturen in der alten Welt galt. (Science Advances, 2020: doi: 10.1126/sciadv.abd0310)
Quelle: University of California – Davis