Das Tohoku- Erdbeben am 11. März hat das Erdbebenrisiko für einige Gebiete Japans, darunter auch Tokio, deutlich erhöht. Messungen zeigen, dass der Versatz im gebrochenen Abschnitt der Verwerfung die Spannungen im Untergrund entlang anderer tektonischer Schwachzonen messbar verstärkt hat. Seismologen haben jetzt sieben besonders gefährdete Zonen identifiziert und warnen davor, die Gefahr wie bisher zu unterschätzen.
Ereignet sich ein starkes Erdbeben, wie das Tohoku-Beben am 11. März vor der Küste Japans, löst sich ruckartig die im Laufe der Jahre und Jahrhunderte aufgestaute Spannung im Untergrund. Das ineinander verhakte Gestein der Plattengrenzen bricht und die beiden „Ufer“ der Verwerfung springen in eine neue, gegeneinander versetzte und „stressfreiere“ Position. Aber es gibt auch gegenteilige Effekte: Der plötzliche Versatz im Untergrund kann an anderer Stelle die Spannungen im Gestein erhöhen. Als Folge steigt nun dort die Gefahr eines Folgebebens.
Interaktionen zwischen tektonischen Störungszonen
Ein Team von Forschern der Woods Hole Oceanographic Institution (WHOI), der Universität von Kyoto und des U.S. Geological Survey (USGS) hat nun die beim Tohoku-Beben vom japanischen seismologischen Netzwerk aufgezeichneten Daten im Hinblick auf solche Wechselwirkungen ausgewertet. „Die Forschung der letzten beiden Jahrzehnte hat gezeigt, dass Erdbeben auf bisher unvermutete Weise miteinander interagieren“, erklären die Forscher in ihrem Artikel. „Ein starker Erdstoß löst Spannungen im Untergrund und senkt so die Wahrscheinlichkeit für einen zweiten größeren Schock – aber eben nur in einigen Gebieten.“
Sieben Gebiete mit erhöhtem Risiko
Tatsächlich identifizierten die Wissenschaftler gleich sieben Gebiete, in denen die Erdbebengefahr durch das Tohoku-Beben signifikant gestiegen ist. Das mit Magnitude 9.0 stärkste Beben in der Geschichte der japanischen Erdbebenforschung hat offenbar große Bereiche der umliegenden Verwerfungen beeinflusst und dort das Risiko für ein baldiges Beben erhöht, wie sie in einer Sonderausgabe der Fachzeitschrift „Earth, Planets and Space“ berichten.
Die Modellierung ergab messbare Steigerungen der Spannung im Norden bei Sanriki-Hokobu, im Süden hinter Boso und an den Verwerfungen des äußeren Grabenhangs östlich des Tohoku-Epizentrums. „Diese Spannungen sind stark genug, um bedeutende Nachbeben oder nachfolgende Hauptbeben sehr viel wahrscheinlicher zu machen“, erklären die Forscher. Zusätzlich registrierten die Forscher in den Tagen und Wochen nach dem Beben Schwärme von Mikrobeben in Gebieten bis zu 300 Kilometer weit vom damaligen Epizentrum entfernt.
Erdbebengefahr für Tokio bei mehr als 70 Prozent
Besonders hoch ist das Risiko nach Angaben von Toda und seinen Kollegen am Fujijama, im Zentrum Honshus bei Nagano und am Kantu-Fragment in der Nähe Tokios. Vorhergehende Schätzungen der japanischen Behörden hatten das Risiko für Tokio auf 70 Prozent für ein Magnitude 7 -Ereignis in den nächsten 30 Jahren beziffert. Die neuen Daten erhöhen diese Einstufung auf deutlich mehr als 70 Prozent.
„Zusätzlich zum Versatz nördlich und südlich des Bruchs vom 11. März kalkulieren wir, dass mehrere tektonische Störungssysteme nahe an Tokio durch das Beben einem Nachgeben näher gekommen sind“, erklärt Ross S. Stein vom US Geological Survey (USGS). „Einige von ihnen haben bereits kleinere Erdbeben nach dem 11. März ausgelöst. Unserem Urteil nach müssen sich Zentral-Japan und im Besonderen Tokio auf eine lange Zeit des Wachens einstellen.“ Nach Angaben der Forscher drohen Nachbeben und auch neue Hauptbeben noch Wochen, Monate und Jahre nach der Tohoku-Katastrophe.
„Das Tohoku-Erdbeben hat uns daran erinnert, dass die Betrachtung nur der historischen Ereignisse nicht ausreicht, selbst in einem Land mit sehr lang zurückreichenden Aufzeichnungen wie Japan und China“, so Lin. „Wir müssen erkennen, dass unsere Einschätzungen des seismischen Risikos wegen dieser unvollständigen Kenntnisse in vielen Fällen wahrscheinlich zu niedrig ausfallen. Daher müssen wir uns auf ein potenzielle Gefahr vorbereiten, die schwerwiegender ist als das bisher Bekannte.“ (Earth Planets Space, 2011, in press)
(Woods Hole Oceanographic Institution, 30.05.2011 – NPO)