Die von der japanischen Regierung veröffentlichten Erdbeben-Risikokarten sind falsch und möglicherweise Mitschuld an der unzureichenden Sicherung des Atomkraftwerks von Fukushima. Diese harsche Kritik äußert jetzt ein Seismologe der Universität Tokio in einem Kommentar in „Nature“. Die Methodik der Risikoermittlung sei veraltet und basiere auf einer längst widerlegten seismologischen Theorie, die suggeriere, dass eine kurzfristige Erdbebenvorhersage möglich sei.
Als am 11. März 2011 vor der japanischen Küste bebte, war dies aus gleich zwei Gründen unerwartet: Zum einen, weil der Untergrund in dieser Region erst kurz zuvor schon einmal gebebt hatte, zum anderen aber, weil dieses Gebiet auf japanischen Vorhersagekarten nicht als hochgradig erdbebengefährdet gilt. Japanische Experten betonten daher nach dem 11. März immer wieder, dieses Beben sei – im Gegensatz zu anderen – unvorhersehbar gewesen. Doch die nationalen seismischen Risikokarten und ihre wissenschaftliche Basis sind jetzt in heftige Kritik geraten.
Veraltetes Modell der seismischen Lücke
Der Seismologe Robert J. Geller von der Universität Tokio kritisiert in einem Kommentar in „Nature“ Regierung und Behörden scharf dafür, bei der Erstellung dieser Risikokarten veraltete Modelle und widerlegte Theorien zugrunde zu legen. Grundlage der Risikokarten bildet bis heute die Theorie der „seismischen Lücke“: die Annahme, dass entlang einer Verwerfung dort ein besonders schweres Beben droht, wo sich die Spannung im Untergrund lange Zeit nicht mehr durch ein Starkbeben entladen hat.
„Die Modellierer nehmen einfach an, dass es charakteristische Erdbeben für verschiedene Zonen gibt, wählen die Verwerfungsparameter für jede Zone als Input für ihr Modell und erzeugen dann auf Wahrscheinlichkeiten beruhende Risikokarten“, erklärt Geller. Nach diesem Modell droht in drei Zonen entlang der Plattengrenze von Eurasischer und Philippinischer Platte besonders Gefahr, als Tokai, Tonankai und Nankai bezeichnet. Auch der 1978 von der japanischen Regierung verabschiedete „Large-Scale Earthquake Countermeasures Act“ (LECA) basiert auf diesen Modellen und sieht insbesondere in diesen Gebieten intensive Überwachung und Erdbeben-Übungen vor.