Wie gefährlich sind Gewitter wirklich? Im Schnitt stirbt einer von vier vom Blitz getroffenen Menschen, geht aus einer neuen Statistik deutscher Wissenschaftler hervor. Auch für Überlebende besteht ein großes Risiko bleibender Schäden, von Verbrennungen und Lähmungen bis zu psychischen Störungen. Die Gefahr lasse sich deutlich vermindern, wenn man sich bei Gewitter an einige Sicherheitsratschläge hält, betonen die Forscher.
Blitze sind unberechenbarer Naturgewalten: Sie sind nahezu unmöglich exakt vorherzusagen und führen eine gewaltige Energiemenge mit sich. Die Gefahr für Menschen bei Gewitter wird oft unterschätzt – „so wahrscheinlich, wie vom Blitz getroffen zu werden“ gilt als Vergleich für extrem unwahrscheinliche Unfälle. In Deutschland geschieht dies jedoch jedes Jahr schätzungsweise mehreren hundert Menschen. Allerdings ist unklar, für wie viele davon der Blitzschlag tödlich endet: „Für Überlebende gibt es aber in der Bundesrepublik keine statistische Erfassung“, bedauert Rechtsmediziner und Gewitterforscher Fred Zack von der Universität Rostock.
Bis zu acht Blitz-Tote pro Jahr
Stutzig gemacht hatte Zack zuerst, dass in der wissenschaftlichen Literatur die Angaben zum Risiko, bei einem erlittenen Blitzunfall zu sterben, von 10 bis 90 Prozent schwanken. Darum nahm er sich statistische Angaben aus Forschungsarbeiten aus aller Welt vor, um daraus verlässlichere Zahlen zu gewinnen. Demnach stirbt weltweit etwa eins von vier Opfern eines Blitzschlags. In Deutschland kamen so von 1998 bis 2013 jährlich bis zu acht Menschen bei schweren Gewittern ums Leben.
Über die Anzahl der Menschen, die einen Blitzunfall überleben und schwere gesundheitliche Schäden davon tragen, gibt es allerdings keine statistischen Angaben. Zack beklagt, dass es in Deutschland immer noch kein Zentrum für Blitzopfer mit Früh- oder Spätschäden gibt. Einzige Ausnahme sei die Klinik der Universität Regensburg, die sich um Patienten mit blitzbedingten neurologischen Beschwerden kümmert.
Um Größenordnungen stärker als eine Steckdose
Bei einem Blitzschlag können bis zu 100 Millionen Volt und mehrere 10.000 Ampere innerhalb von 0,02 Sekunden auf einen Menschen einwirken. Das ist um mehrere Größenordnungen stärker als etwa ein Stromschlag aus einer Steckdose. Dementsprechend schwerer und vielfältiger sind die Verletzungen: Besonders häufig sind die Haut, das Herz, das Gehör, die Augen, das Gehirn und die Nerven betroffen.
Einige Schäden gehen vorüber, andere bleiben oder treten sogar erst später auf. Typische Beispiele sind Verbrennungen der Haut, Hörstörungen, Tinnitus, Missempfindungen und Lähmungen. Hinzu kommen psychische Störungen wie Konzentrationsstörungen über Depressionen bis hin zu Angstzuständen und posttraumatischen Belastungsstörungen. Eine weitere Gefahr durch Blitze seien indirekte Effekte wie ein Knalltrauma durch den lauten Einschlag, umher fliegende Gegenstände oder vom Blitz ausgelöste Feuer.
„Flächenhaft verkochte Brustmuskulatur“ nach Blitzschlag
Als warnendes Beispiel nennt der Rechtsmediziner das Schlüsselerlebnis, das ihn selbst mit dem Thema „Blitzunfälle und die Folgen für betroffene Menschen“ infiziert hat, wie er selbst sagt: Ein junger Mann auf einem Sportfest in der Nähe von Ludwigslust wurde von einem Blitz getroffen, der in eine Pappel in unmittelbarer Nähe einschlug. „Bei der Obduktion kam unter intakter Haut flächenhaft verkochte Brustmuskulatur ans Tageslicht, das Herz war ebenfalls schwer geschädigt“, beschreibt Zack.
Als Erklärung fand der Mediziner in der internationalen Fachliteratur schließlich den sogenannten „side splash“. Dabei trifft der Blitz primär ein anderes Objekt, wie zum Beispiel einen Baum und nur ein Teil der Energie überträgt sich auf ein in der Nähe befindliches Opfer – unter Umständen mit tödlichen Folgen.
Fünf mögliche Übertragungswege für Blitze
Zack ist bei seinen Recherchen auf insgesamt fünf verschiedene Übertragungsmechanismen gestoßen, durch die die elektrische Energie eines Blitzes einen Menschen schädigen kann. Die deutschsprachige Fachliteratur unterschied bislang nur zwei davon. Die gefährlichste Art des Blitzschlags ist der direkte Treffer, wobei der Strom häufig durch den Kopf fährt und lochartige Durchschläge an den Füßen hinterlässt. Er endet oft tödlich. Der Kontakteffekt tritt ein, wenn der Blitz in ein Objekt schlägt, das sich in direktem Kontakt zum Blitzopfer befindet, beispielsweise ein Golfschläger.
Der bereits erwähnte Überschlagseffekt oder „side splash“ tritt ein, wenn der Blitz beispielsweise in einen Baum einschlägt und ein Teil der Energie auf eine in der Nähe stehende Person übertragen wird. Bei der sogenannten Schrittspannung fließt der Strom in der Nähe des Einschlages über ein Bein in den Körper und über das andere hinaus. Beim sogenannten leitervermittelten Blitzeffekt schließlich kann der Blitz eine Telefonleitung oder ein Elektrokabel treffen. Gefahr besteht beim Benutzen eines Schnurtelefons oder beim Bedienen von Elektrogeräten. Dies sollte man bei Gewitter also möglichst vermeiden, auch im Inneren eines Hauses.
Sicheres Verhalten macht Blitzunfälle vermeidbar
Gewitterexperte Zack liefert noch weitere Sicherheitshinweise: „Längst überholt ist der Ratschlag, sich bei einem Gewitter im Freien flach auf den Boden zu legen, denn das vergrößert nur die Angriffsfläche, die man dem Strom bietet, der dann über das Herz fließen und tödliche Rhythmusstörungen auslösen kann“, so der Mediziner. „Besser: in die Hocke gehen, die Füße dicht aneinanderstellen und die Ohren mit den Händen zu halten. In Häusern sollte man Fenster und Türen zur Gewitterzeit geschlossen halten und elektrische Geräte nicht benutzen.“
Auch in einem Auto ist man nicht einhundertprozentig sicher. Als Insasse sollte man bei Gewitter nie die Blechanteile im Auto berühren. Am besten sei es, dann gar nicht erst Auto zu fahren. Denn wenn der Blitz einschlägt, kann das Licht so grell sein, dass eine Orientierung danach kaum möglich ist. Weiterhin besteht für die Fahrzeuginsassen die Gefahr eines Knalltraumas mit bleibenden Hörschäden. Zack betont weiterhin, dass durch Beachtung der Wettervorhersagen und entsprechende Verhaltensweisen die meisten Blitzunfälle vermeidbar sind.
(Universität Rostock, 18.05.2015 – AKR)