Gletscher galten bisher immer als begrenzender Faktor für das Wachstum von Gebirgen, die Eis-Erosion trägt die Gipfel ab. Doch jetzt haben amerikanische Forscher eine genau gegenteilige Wirkung des Eises in den patagonischen Anden entdeckt. Wie sie in „Nature“ berichten, wirken Gipfelgletscher in sehr kaltem Klima nicht abtragend, sondern schützen die Berge wie eine Rüstung und fördern damit sogar ihr Höhenwachstum.
Gletscher formten einige der dramatischsten Landschaften der Erde – von den tief eingeschnittenen Fjorden Skandinaviens bis zu den Bergseen der Alpen oder den Schluchten des Himalaja. Meist ist es ihre abtragende Wirkung, die diese Topografien entstehen ließ und die auch dafür sorgt, dass die durch Bewegungen der Erdkruste angehobenen Berge nicht in den Himmel wachsen. Doch jetzt hat ein amerikanisches Forscherteam festgestellt, dass dieser auch als „glaziale Kreissäge“ bezeichnete Effekt keineswegs immer gilt.
Überraschung in den patagonischen Anden
Die Wissenschaftler unter Leitung von Stuart N. Thomson von der Universität von Arizona untersuchten für ihre Studie Gesteinsproben aus verschiedenen Regionen und Höhenstufen der patagonischen Anden zwischen 38 und 56 Grad südlicher Breite. Die noch immer aktiv in die Höhe wachsenden Anden gelten als Lehrbuchbeispiel für die „glaziale Kreissäge“, die erodierende Wirkung der Gipfelgletscher. Die insgesamt 146 Gesteinsproben wurden mit Hilfe zweier unterschiedlicher Methoden auf ihr Abkühlungsalter – den Zeitpunkt, an dem sie durch Erosion freigelegt worden waren – analysiert
Das Ergebnis überraschte: „Wir erwarteten, die Wirkung der ‘Kreissäge’ zu sehen”, erklärt Thomson. Stattdessen ergaben beide Methoden, dass die 25 Millionen Jahre alten Gesteine im Norden tatsächlich relativ schnell erkaltet waren und damit Anzeichen für eine einsetzende Erosion zeigten. Im Süden jedoch, in den Gletschergebieten Patagoniens, fand sich genau das Gegenteil: Hier waren die Gesteine deutlich später abgekühlt, ein Zeichen für eine geringere Erosion.
Kälte macht „Kreissäge“ zur Rüstung
Die Ursache für fehlende Gletscherabtragung sehen die Wissenschaftler im Klima: Im kühleren Süden Patagoniens bleiben die Gletscher kalt genug, um mit ihrer Basis am Fels des Gebirges angefroren zu bleiben. Wie eine Hülle schützen sie den Untergrund vor Einflüssen der Witterung und damit vor Erosion. In den wärmeren Regionen weiter nördlich dagegen schmilzt die Gletscherbasis und das Eis bewegt gegenüber dem Untergrund. Die Reibung zwischen Fels und Eis bewirkt dann die Erosion.
„Das Klima, vor allem durch die Gletscher hat einen großen Einfluss darauf, wie hoch Berge werden”, erklärt Peter W. Reiners von der Universität von Arizona. „Wir sehen, dass die glazialen Kreissägen unterhalb bestimmter Breiten eindeutig und effektiv arbeiten. Aber südlich von 45 Grad Breite bleibt dies nicht nur aus – es hat sogar den gegenteiligen Effekt. Die Gletscher schützen die Oberfläche und ermöglichen es den Bergen höher zu wachsen.“
Diese von den Forschern „glaziale Rüstung” getaufte Wirkung könnte ihrer Ansicht nach auch in anderen Gebirgen sehr kalter Regionen wirksam sein, so zum Beispiel im Norden Alaskas. „Das Klima bedingt die Höhe eines Gebirges – ob es eine glaziale Kreissäge oder eine Rüstung gibt“, so Thomson.
(University of Arizona, 16.09.2010 – NPO)